Von steilen Schlappen und halben Nebelhörnern

Hier kannst du reinschreiben, was du auf deinen Touren alles erlebt hast
Benutzeravatar
peso
Übungsleiter
Beiträge:6641
Registriert:Fr 13. Mai 2005, 11:00
Name:Peter
Wohnort:Sonneberg
Kontaktdaten:
Re: Von steilen Schlappen und halben Nebelhörnern

Beitrag von peso » Sa 26. Aug 2006, 21:23

Mittwoch

Wieder nehme ich den Alex, um die Versäumnisse von gestern nachholen zu können. Das Wetter zeigt sich von der angenehmeren Seite und lockt viele, sehr viele und noch ein paar mehr Wanderer und Radfahrer ins Allgäu. In so ein Fahrradabteil passen 8 Räder...hinter Buchloe teile ich mir meine 30 Quadratzentimeter Stellfläche mit dem dreckigen Hinterrad eines von 11 Mountainbikes, als sich erneut ein Gummireifen die Treppe emporschiebt. Und das Stahlgestänge mag gar nicht mehr aufhören, endlich sehe ich eine Hand, dann einen Sattel, noch eine Hand, noch einen Sattel...ein Tandem wird quer über meinen Kopf gehoben und schräg im Gang verkeilt. In der Folge heben wir diverse Kinderwägen, Zehnjährige und ein gutes Gepäckabteil Koffer über dieses Ungetüm, während ich meine Platz gegen die kippligen Räder verteidige.

In Oberstdorf finde ich sofort den Weg zur Skisprunganlage und fahre unter einem Teil der Tribüne hindurch, um in den Anstieg zum Nebelhorn zu kommen. Der untere Teil soll ja gar nicht so steil sein...Pustekuchen. Die Prozentangaben bei Salite täuschen, weil es zwei kürzere flache Abschnitte gibt und nur auf den Steilstücken zwischen den Serpentinenkurven die Höhenmeter gemacht werden. So sind es auch hier unten schon über 20% die mehrfach erklettert werden wollen und das fällt mir heute schon sehr zeitig sehr schwer. Aber die zahlreichen Meindl-Touristen verbieten mir das Zeigen allzu deutlicher Anstrengung - die Jacke geschlossen, locker durch die Nase geatmet fahre ich viel zu schnell nach oben: Indurain würde jedes Pokerspiel gegen mich verlieren. Ab und an gibt der Wald den Blick auf die Schanzenanlage frei und man ist schon erstaunt, wie steil die sich an den Hang lehnen, das sieht im Fernsehen weniger beeindruckend aus. Zwischendurch befeuern mich auch zwei Schulklassen in meinen Anstrengungen und ich will meine Fans natürlich nicht enttäuschen und gebe alles. Bis dann die Steigung plötzlich zurückgeht und so ein mistiger Wegweiser auftaucht. "Vordere Seealpe / Nebelhorn" steht da mit der Spitze nach links - genau auf einen bös steilen Rollsplittweg. "Ihr Wahnsinnigen" möchte ich rufen und meine Moral sinkt dorthin, wo sich mein Laktat noch heute früh befunden hatte...ganz tief in den Keller. Vielleicht 70m probiere ich es, bevor ich es diesmal deutlich fluchend aufgebe und zum Rückzug schnaufe. Später in München lese ich mir die Beschreibung bei Quäldich durch und möchte ganz gerne mein Rad zersägen - ich hätte dem Asphaltweg folgen sollen und wäre keine 100m später an der Vorderen Seealpe gewesen. Das Projekt Nebelhorn muß ich also auf ein anderes Mal verschieben.

Wenigstens die Sonne hat noch was zu lachen und blinzelt lustig durch das Blättergrün, während ich auf einem Radweg in Richtung Fellhorn spazieren fahre. Nach der Skiflugschanze biege ich rechts ab und komme über Schwand und Ringang "Auf [die] Leiter". Das ist hübsch treffend von den Einheimischen benannt, schließlich geht es jetzt schon ordentlich den Berg hinauf. Immer in kurzen aber steilen Rampen durch den Wald bis die Serpentinen anfangen und der eigentliche Aufstieg zur Schlappoldalpe beginnt. Auf der rechten Seite sehe ich ein Warnschild mit Piktogramm in einem roten Ring und erst hinter der nächten Kurve wird mir klar, daß da ein Fahrrad umkringelt wurde. Die Straße für Zweiräder von Mo-Fr gesperrt? Ich fahre erstmal unbekümmert weiter, bis mir ein Laster auf drei Meter breiter und 16% steiler Fahrbahn entgegen kommt und ich schnell zur Seite vom Rad springe. Offensichtlich baute man weiter oben einen neuen Gasthof und es herrschte ordentlicher Verkehr. Das hieß für mich, daß ich jetzt jeweils 2-3 Serpentinen sprintete, um in mich dann in der nächsten Kurve noch etwas dünner zu machen und das Ungetüm passieren zu lassen. Verdammt, war das anstrengend. Einmal trete ich beim Absteigen in teigigen Schlamm und komme, wieder auf dem Rad, nicht in die Pedale. Also die nächsten 150m bei 22% im Sitzen treten. Irgendwann müssen doch auch die milch- und käsegestärkten Knochen meines Oberschenkels mal die Schnauze voll haben und sich knackend verabschieden, befürchte ich. Dann habe ich die Baustelle passiert und mäandere mich nach oben. Es ist fürchterlich steil - 500 m mit 18%, dann wieder etwas flacher bei 14% und erneut über 20%. In einer Kurve halte ich kurz, um..ähm...ein Photo zu machen, als von unten ein orangener Fleck auf einem MTB naht, bei mir hält, mit sorgenvollem Blick kurz meinen Geisteszustand zu überprüfen scheint und dann ein "Mit dem Straßenrad !? Respekt" von sich gibt. Wir fahren gemeinsam weiter und ich leide wie der sprichwörtliche Hund. Meine Begleitung tritt - was hat ein MTB: 22x31 ? - locker im Sitzen, während ich die Verbiegefestigkeit der Shimanokurbel teste und zwei Kilometer nur im Stehen schufte. 30x27 entspricht hier der klassischen Heldenkurbel.
Endlich wird es flach ( = zwischen 11% und 14%) und ich verabschiede die 55 kg Museklfasern neben mir schnell nach hinten. Von einem MTB am Berg geschlagen werden - also bitte...! Als Entschädigung spendiere ich ihm oben an der Hütte eine Cola, trinke selbst eine Buttermich und muß gemeinsam mit dem anderen Irren die entscheidene Frage der Wanderer beantworten: "Wieso?" Wieso verdammt quält man sich mit dem Rad eine 6 km lange und über 13% steile Straße hinauf? Tja, keine Ahnung...für das Photo mit Rad vor der Bergkulisse? Hm, die Luft wird dünner, besser ich komme wieder etwas tiefer.
Die Abfahrt gestaltet sich erwartet schwierig, ach was, katastrophal. Jedes Steinchen in der Kurve läßt mich wieder ein "Ulle Unser" im Herzen seufzen, die Vorderbremse stottert furchteinflößend und plötzlich steht da ein LKW hinter der Kurve. Immerhin werde ich nicht in den Abgrund stürzen, aber auch das Mettall des Fahrzeugs kommt sehr schnell näher und hält dann vielleicht noch 7 cm Distanz zu meiner behelmten Birne, als die Bremsen endlich mehr Verstand als der Helmträger zeigen und mein Rad stoppen. Ok, irgendwann bin ich endlich unten.

An Oberstdorf vorbei fahre ich bis Tiefenbach und höre beim lockeren Laktatabbau das bekannte Zischen eines löchrigen Fahrradschlauches. Ich steige ab und begutachte meinen Hinterreifen - also das, was davon noch übrig ist. Auf etwa einem Viertel der Lauffläche hat sich das Gummi von der Karkasse gelöst und drahtige Flecken von Münzengröße geben ein beängstigendes Muster. Offensichtlich waren die Brems- und Durchrutschorgien der letzte zwei Tage zuviel für die Michelins.

Bald geht es hügelig weiter nach Ried und dann links auf den Riedbergpaß. 6 km und 535 hm wollen überwunden werden. Ach, wie angenehm erscheinen mir die 9% Durchschnittssteigung, selbst das längere Steilstück mit bis zu 16% kann mich nicht mehr schrecken. Dazu ist die Straße in hervorragendem Zustand und ich recht bald oben auf der Paßhöhe. Die Abfahrt ist einfach großartig - ich überhole zwei PKW und diverse Motorräder und kann es richtig laufen lassen, schließlich ist die Strecke zwar kurvig, aber sie kommt ohne die ganz engen Serpentinen aus. Bis Fischen rase ich auch innerorts noch an den PKW vorbei und finde den Bahnhof. Ich wäre bei dem herrlichen Wetter gerne noch mehr gefahren, hatte aber versprochen, diesmal nicht ganz so spät wieder in München zu sein.

Nächstes Mal dann, Nebelhorn...
Reißbrett 2016

"Ich bin in diesem Jahr auf noch keiner Ausfahrt schneller als 24 km/h im Schnitt gewesen." (Anonymer Radfahrer, 2005)

"Treffpunkt ist jedenfalls 05:30 an der Uniklinik." (Good old Times)

Antworten