Alpen im Spätsommer

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peso
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Alpen im Spätsommer

Beitrag von peso » Mo 4. Sep 2006, 18:32

So, erstmal die Profile und ein paar Photos:Mittwoch56 km / 2100 hmBei der Abfahrt von Solda hatte mein Speichenmagnet ein paar Aussetzer...Eigentlich waren wir recht fix in Italien und die Zeit vertrieben wir uns damit, die Bewegungen der Temperaturanzeige mit banger Erwartung zu kommentieren. Noch in Österreich auf 800 m Höhe - 11 Grad und Dauerregen, ganz lange Gesichter. :oDann endlich ein blauer Flecken im Himmelsgrau, dort wo eigentlich die Zitronen...äh...also Italien liegen mußte. Und tatsächlich, kaum waren wir über den Reschenpaß drüber, schien die Sonne bei immerhin schon 13-16 Grad. Weil wir gar so schnell waren, beschloß Jan, mir den Stelvio erstmal mit Diesel statt mit Schweiß vorzuführen. Also sind wir mit dem Auto von Prato bis zur Franzenshöhe gefahren - oh Mann, ich hatte Bammel. So tief, wie man im PKW sitzt, erscheinen die Steigungen gleich konstant > 20% zu haben. Mir war schon etwas schlecht. Da mit dem Rad hoch?Ok, zurück ins Hotel nach Solda (1905 m) und gleich die Räder ausgepackt. Dann die Abfahrt runter nach Gomagoi (1200 m) und schon mächtig gefroren. Es hatte knapp über 10 Grad. Endlich in die noch restlichen 19 km mit 8,1% bis zur Paßhöhe. Mir war jetzt schon kalt, für die Finger hätte ich mir bereits lange Handschuhe gewünscht. Kurz hinter Gomagoi hatte man an der Galerie die Straße aufgerissen und wir mußten kurz halten, um dann richtig in die Steilstücke zu fahren. Es dauert ja ewig, bis man die 46 am Straßenrand sieht, welche die Kehrenzahl abwärts angibt und einem das letzte bißchen Übermut schnell austreibt. Nun ging es erstmal ein paar Kilometer durch den Wald, immer Kehre an Kehre - Peso fuhr innen, der Gebirgsrenner kurbelte außen. Bei Kurve 34 kam dann dieser fürchterliche Buckel mit 14%, den wir mit etwas Schwung nahmen und gleich unser Laktatkonto etwas belasteten. Schon hier überholten wir ein paar Unverdrossene, die auch noch recht spät den Berg bezwangen.An der Franzenshöhe erschließt sich erst die Vermessenheit, in dieses Bergmassiv eine Straße getrieben zu haben - noch 500 hm in engen Serpentinen steil in den Himmel. Angehalten, um dieses Pflichtphoto von der Steilwand zu machen, habe ich aber erst am nächsten Tag. Die 11-14% zwischen Kehre 3 und 2 registrierte ich gar nicht mehr, weil mir schon richtig kalt ist und wir auch noch fleißig andere Radler überholen. Dann, endlich, 2758 m - die Paßhöhe. Schnell schließe ich die Windweste, zieh die Armlinge hoch, posiere für das Paßschildphoto und wir begeben uns in die Abfahrt. Meine Güte, so gefroren habe ich noch nie in meinem Leben - Unterhemd, Trikot, Weste, Armlinge, Knielinge, Kopftuch: alles Textil schien wirkungslos bei gemessenen 2 und gefühlten -15 Grad. Irgendwann verriet mir nur noch die Verzögerung des Gesamtsystems Peso-Rad, daß die Bremsen funkionierten - meine Hände spürten das Metall der STIs nicht mehr. Ich sah die Bremshebel, wie sie sich nach innen bogen, aber eine taktile Rückmeldung gab es nicht mehr. Jan war schon lange nicht mehr direkt hinter mir - er hatte es vorgezogen, ein paar Mal anzuhalten und sich "aufzuwärmen", während ich zitternd die nächste Serpentine ansteuerte und auf ein Ende hoffe. Irgendeins, mir war alles egal.Ok, dann standen wir mit roten Nasen und weißen Fingern in Gomagoi und konnten endlich wieder die körpereigene Heizung im Anstieg nach Solda in Betrieb nehmen. Erst ist es recht flach, dann folgen fast 4 sehr schwere Kilometer mit 9-11%. Endlich hinter Außersulden wird es wieder flacher und wir schaffen auch die letzten Höhenmeter bis ins Hotel.Ich falle vom Rad (fast) direkt in die Badewanne, überlege kurz, was ich mit den 57 Teilen Besteck vor mir anfangen soll, lasse es mir schmecken und freue mich schon auf morgen.Bildfolge:1 - Paßhöhe Stelvio2 - Blick aus meinem Hotelfenster (am nächsten Morgen)
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Re: Alpen im Spätsommer

Beitrag von peso » Mo 4. Sep 2006, 18:42

Donnerstag

168 km / 5100 hm

Eigentlich wollte ich heute schon Mortirolo und Gavia fahren, aber die Wetteraussichten für den Freitag waren noch besser und so beschlossen wir, erstmal eine kleine Runde zum Eingewöhnen über die klassischen Pässe zu drehen.

Wieder ging es hinab nach Gomagoi, wo ich erneut die einzig würdige Befahrung des Anstieges verschob und gleich nach links Richtung Paßhöhe fuhr. Das Stückchen zwischen Prato und Gomagoi mußte noch etwas warten. Es waren bereits einige Frühaufsteher am Berg (ca. 10:00), die immer neue Motivation gaben. Ich bemühte mich, halbwegs dosiert (mit max 30:27 geht das) zu fahren und wollte doch Jan nicht ziehen lassen, welcher schon ordentlich Tempo machte. Bis zur Franzenshöhe kurbelten wir gemeinsam, dann stieg ich ab, um die aberwitzige Straßenkonstruktion in der Steilwand zu photographieren, unterhielt mich dabei kurz mit einem Kölner, der mit knappen 1000 Trainingskilometern den Berg erklomm. Tja, gute Fahrt...

Oben gab es dann erstmal 'ne Cola (3 Euro), bunt verpacktes Powerbar und den grandiosen Ausblick über den schon teilweise in der Sonne liegenden Anstieg. Die Abfahrt nach Bormio ist ja einfach nur phantastisch. Nur ganz oben und nochmal im unteren Teil sind die Serpentinen ganz eng angelegt, sonst kann man es herrlich rollen lassen. Auf diesem längeren Geradeausstück habe ich gleich mal ein paar italienische Lieferwagen überholt und nur kurz in den engen und doch recht dunklen Tunneln weiter unten etwas Sorge um meine Fahrlinie. Die lombardische Steite des Stelvio war schon wesentlich zahlreicher von Radlern frequentiert - muß wohl an den Temperaturen gelegen haben.

Unten an der Kreuzung in Bormio begann dann wieder das große Bekleidungstetris, weil Armlinge, Knielinge ud Weste sich so schlecht zwischen die vielen Riegel, die Kamera, Karte und das Handy passen ließen. Schließlich sind wir rechts abgebogen und sahen die Entfernungsangabe zum Foscagno (24 km). Komischer Paß, denke ich mir. Die ersten Kilometer ging es nur bergab...dann weiter insgesamt fast 10 km fast flach bei mäßgem Verkehr auf breiter Straße durchs Tal. Endlich gewann das Asphaltband dann doch mal an Höhe und der eigentliche Aufstieg begann. Der Foscagno ließ sich sehr gut fahren, die Steigung hält sich in Grenzen und nur der Gegenwind war etwas ärgerlich. Ein paar Kehren, die Vegetation wird spärlicher, eine Gallerie und man ist nach 14 km gemäßigter Kletterei schon oben.

Rasant verlieren wir wieder an Höhe, um in den giftigen Gegenantieg zu fahren, dem sie sogar einen Paßnamen spendiert haben. Mit bis zu 15% geht es über den Passo d'Eira nach Livigno. Endlich wieder mal viele Menschen, noch mehr Verkehr und genügend Gelegenheit zum Kauf von Alkohol. Zwei blau Uniformierte stehen mit der MP5 im Anschlag am Straßenrand und beschauen sich das kommerzielle Treiben - wir belassen es doch bei isotonischen Sportgetränken und verschwinden aus dem Trubel Richtung Ponte di Gallo, immer am See entlang. Hier lohnt es sich schon, nicht allein fahren zu müssen - wir rasen durch die Gallerien und warten dann am Tunneleingang vielleicht 10 Minuten auf die umspringende Ampel. Dann geht es mit 50 km/h durch die halbdunkle Röhre und wir sind nicht viel langsamer als die Motorräder vor uns.

Ziemlich genau in der Hälfte des Passo Fuorn erreicht man schweizerisches Gebiet und darf jetzt noch 400 hm auf 10 km bis zur Paßhöhe steigen. Wieder so ein seltsamer Anstieg - die Abfahrten scheinen zahlreicher als die Kletterpassagen zu sein. Lediglich die letzten zwei km sind mit 9% etwas schwerer. Bis St.Maria folgt eine landschaftlich grandiose Abfahrt, die ich nun wirklich nicht alleine bestreiten möchte. Das ist ja richtig Arbeit. Auf 7 km verliert man vielleicht 200 hm. Wir überholen einen "Nur-für-sich-Leider", dem es auch in unserem Windschatten schnell zu anstrengen wird und in St.Maria trennen sich unsere Wege. Jan fährt weiter nach Prato, während ich noch Lust auf den Umbrail habe. Inzwischen hat sich der Überholte von vorhin schon in den Anstieg begeben und ich klettere hinterher. Im unteren Drittel ist der Umbrail wirklich eine Augenweide. Die Serpentinen nicht ganz so zahlreich und eng wie am Stelvio, aber immer gleichmäßig steil geht es durch den Wald nach oben. Das macht Spaß und läßt mich unvorsichtigerweise die Geschwindigkeit noch etwas erhöhen - der enteilte Radfahrer kommt endlich näher, bald habe ich ihn eingeholt und quatsche ein paar Minuten mit ihm. Ja und schließlich weicht der Asphalt der oft erwähnten "mit dem Rennrad problemlos befahrbaren" Naturpiste - es wird zwar deutlich flacher, aber die Kurbel mag sich trotzdem nicht schneller drehen. So langsam beginne ich zu leiden, weil der Dreck keine Ende nehmen möchte. Im letzten Drittel dieses Abschnitts wird es auch wieder steiler - 8 - 10%. Was bin ich froh, endlich wieder schwarzen Asphalt berollen zu dürfen. Aber die Unternehmung hat mich viel Kraft gekostet, zumal es sofort nach der Brücke richtig steil wird und auch bis ganz nach oben so bleibt. Was soll ich sagen, ich leide wie der sprichwörtliche Hund, überhole zwar trotzdem noch ein veritables Häufchen anderer Fahrer, leide an der Paßhöhe aber an akuter Glykogenverarmung und richte meinen bangen Blick links hinauf zum Stelvio. Da warten noch einmal 3 km mit 8% auf die müden Muskeln.

Irgendwie geht es doch und der nette Mann mit der Schürze "Magst eine Wurst?" darf mir immerhin 'ne Cola und Wasser verkaufen. Ich verschlinge meinen letzten Powerbar und rolle dann bergab nach Gomagoi. Nur noch wenige Stellen der Straße liegen in der Sonne, es wird wieder kalt und auch reichlich spät. Immerhin bin ich schon deutlich über 7 Stunden unterwegs. Den Schlußanstieg schaffe ich auch noch und unterwegs kommt mir Jan mit dem Auto entgegen, um mir die verlockende Mitfahrgelegenheit anzubieten, welche ich aber ausschlage und die 600 hm noch bis zum Hotel fahre.

So kaputt war ich schon lange nicht mehr - aber morgen wartet mit Mortirolo und Gavia ja der erste Ruhetag. :meise:

Bildfolge:

1 - die Steilwand des Stelvio von der Franzenshöhe aus
2 - von der Paßhöhe des Stelvio
3 - Paßhöhe am Foscagno
4 - am See bei Livigno kurz vor dem Tunnel
5 - Paßhöhe Umbrail
6 - der Stelvio vom Umbrail aus
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Re: Alpen im Spätsommer

Beitrag von peso » Mo 4. Sep 2006, 18:51

Freitag

143 km / 3400 hm

Endlich, der Tag, auf den der Mortirolo so lange hat warten müssen - peso kommt zu seiner Erstbefahrung und hat sich natürlich die klassische Variante ab Mazzo ausgesucht. Können es die km 3 - 9 mit dem idiotisch-dolosen Charakter von Grüntenhütte und Schlappold Alpe aufnehmen?

Zunächst entscheiden wir uns für den Autotransfer bis zur Stelviopaßhöhe - Mortirolo, Gavia, und 2x Stelvio an einem Tag müssen natürlich auch unbedingt mal sein, aber damit will ich warten, bis das Rad leichter und die Tage wieder länger sein werden. Die Abfahrt nach Bormio ist nur mit geringer Fingerfrostigkeit verbunden und bereitet das frühe Vergnügen, jetzt schon Dutzende bunter Trikotkleckse am Anstieg schwitzen zu sehen. An der Gabelung zum Foscagno trennen wir uns und ich verliere noch mal gute 200 hm bis ich am Ortsausgang der ausgeschilderten Alternativroute nach Grosio folge und durchs frühmorgendlich gelangweilte Valdisotto fahre. Das Terrain ist wellig, aber tendenziell sinkt die Anzeige des Höhenmessers auf deutlich unter 800 m. Ich weiß ja gar nicht, nach welcher Seite ich zuerst den von der landschaftlichen Schönheit schon fast übersättigten Blick richten soll - hohe Berge, niedrige Berge, ein Flüßchen, sattgrüne Wiesen, beeindruckende Felsmassive und die Alten, die in Grosio auf ihrer Bank sitzen und Zeitung lesen, während ich den Abzweig zum Mortirolo ignoriere und der Straße weiter nach Mazzo folge. Als ich kurz halte, um mal auf die Karte zu schauen, rast ein Gerolsteiner mit Begleitung bei guten 60 km/h an mir vorbei - da bin ich doch froh, daß ich nicht auf dem Rad Teil dieses demütigenden Spektakels geworden bin.

In Mazzo überquere ich die Brücke und bin nach einer Rechtskurve in einem schmalen Gäßchen, das den Beginn des Anstiegs zum Mortirolo darstellt. Sofort schalte ich 30x27, auch wenn die Steigung noch unter 10% beträgt, aber man ist hat ja die Steigungszahlen bei Salite noch warnend im Kopf - nur nichts überstürzen. Schon nach 900 m zeigt der Computer das erste Mal 14%, beruhigt mich dann wieder bei 4-6%, bis es endlich richtig losgeht. Lustige Menschen haben die maximalen Steigungsprozente zur Stärkung der Psyche auf die Straße gemalt, sodaß man auch gleich eine Beschäftigung hat, sollte es bei 17% doch zu langweilig werden. Stimmen die Angaben mit der Zahl auf dem Lenker überein? Sind das jetzt wirklich 20%? Schließlich habe ich 21% auf dem Display, während der gute Asphalt meist angenehm kühl durch den Wald nach oben führt und bisweilen an einer Kurve den Blick auf Mazzo freigibt. Immer wieder öffnet sich die grüne Wand und verlassene (?) Höfe brüten einsam in der lombardischen Sonne, hölzerne Schilder verraten Namen und Höhe der Bauten. Mir geht es phantastisch. Mit meiner Kinderübersetzung kurble ich locker in den Steilstücken nach oben und widerstehe der Verlockung, bei den kurzen Abschnitten mit 8-12% den Umwerfer zu betätigen, sondern nutze die Zeit, um mich zu erholen und etwas zu trinken. Im ganzen Anstieg begegnen mir zwei Autos und ein Motorrad, an einer ganz tückischen Rechtskurve überhole ich einen vielleicht zwölfjährigen Italiener mit MTB und muß natürlich sofort an einen jungen Lombarden und den Stelvio denken, also gibt es ein paar aufmunternde Worte und ich fahre mit doppelter Geschwindigkeit (also so ungefähr 10km/h :) ) an ihm vorbei.
Nach einer letzten Steilwand wird es kurz flacher und in einer Linkskurve muß ich selbstverständlich halten, um dem verstorbenen Bergfahrergott kurz meine Referenz zu erweisen. Überhaupt, die Künstler mit der Begeistung in der Fanbrust und dem Pinsel in der Hand scheinen nur zwei Namen zu kennen - Basso und Pantani. Ach ja, ein "Ullrich" sehe ich auch - gefolgt von einem dicken Fragezeichen...
Am Denkmal ist der schwierigste Teil der Strecke überwunden, der Abzweig nach Grosio erscheint erst deutlich später als erwartet und ich habe keine Probleme mehr mit den restlichen 8-10% steilen Kilometern. Kurz vor der Paßhöhe tritt man dann endgültig aus dem Wald heraus und mir kommen zwei kurz behoste Männer entgegen, die mit lauter Stimme und Badetüchern für Giroatmosphäre sorgen. An einer picknickenden Familie fahre ich auch noch vorbei, bis ich oben an der Bergwertung bin. Zufrieden und begeistert. Das ist der mit Abstand schönste Anstieg, den ich je gefahren bin. Steil, schmal, unrhythmisch, nicht gar zu lang, meist im Wald versteckt, aber mit herrlichen Ausblicken auf das Valdisotto - einfach perfekt. Die Schlappold Alpe und erst recht die Grüntenhütte halte ich für wesentlich schwieriger, weil dort diese flachen Abschnitte fehlen, welche man zur kurzen Erholung nutzen könnte. Im Gegensatz zu diesen Anstiegen ist der Mortirolo keine Zirkusnummer, sondern eine echte und (mit der richtigen Übersetzung) faire Herausforderung.

Die Abfahrt vom Mortirolo ist in hervorragendem Zustand und ein Fest für den risikobereiten Möchtegernfalken. In Monno muß ich wieder etwas Bremsgummi investieren, um dieses Bergstädtchen auf dem Digitalsensor festzuhalten. Noch vor Edolo biege ich auf die SS 42 ab und folge ihr bis Ponte di Legno. Meine Güte, das sind die schwersten Kilometer meines gesamten Alpenaufenthaltes. Beständig geht es mit 1-3% bergauf, der Gegenwind tut sein bestes, um mich in der nun unangenehmen Mittagshitze nicht vertrocknen zu lassen. Das sind fast 300 hm bis zum Beginn des Gavia, bei vergleichsweise starkem Verkehr und mit schwindenen Wasservorräten. Endlich bin ich in Ponte di Legno und suche nach Flüssigkeitsnachschub. Ein Blick auf die Uhr verheißt wenig Hoffnung - Mittagszeit. Tatsächlich finde ich keinen geöffneten Laden und fahre mit einer halben Flasche Isostar in den Beginn des Gavia. Žhm...sorry...Reimneurose.

Der Anstieg beginnt sehr moderat und auf breiter Straße, daß ich schon fast denke, ich hätte mich verfahren. Ein paar Serpentinen später sehe ich links einen Rastplatz und tatsächlich einen Brunnen, der meine Flaschen füllen und mich beruhigen darf. Schlagartig verjüngt sich schließlich die Straße und der Steigungsmesser zeigt sofort lustige Werte. Gleich mal 15% sind zu überwinden, maximal messe ich am Gavia 17,5%. Der Stelvio mag beeindruckender sein, die Verwegenheit der Paßstraßenkonstruktion noch atemberaubender, aber diese, pardon, wild-romantische Felsenwirklichkeit des Gavia ist von solch eindringlicher Schönheit, daß mir ganz sentimental wird. Immerhin ist der Verkehr an diesem Tag eine Plage. Manchmal denke ich wirklich, ich sei im Harz. Motorräder schießen hupend um die Kehren, die alterschwache Blechkisten husten schwarzen Rauch und nur Radfahrer sehe ich keine. So wirklich Großartiges vermelden meine Beine nicht mehr, ab etwa 2000 m habe ich auch wieder Probleme mit der dünnen Höhenluft. Die angezeigte Geschwindigkeit will nicht mehr so recht zur Steigung passen und dann verschluckt mich auch noch das schwarze Loch des Tunnels. Es ist stockfinster, weil ich meine Sonnebrille mit -5 Dioptrien auch nicht abnehmen kann und ich eiere auf der Fahrbahn umher. Bald weiß ich nicht mehr, wo genau ich mich nun befinde - noch am Rand oder schon auf der anderen Seite? Endlich wird es wärmer und heller...und steiler natürlich, aber weit ist es nicht mehr.

An der Paßhöhe fülle ich meine Flaschen wieder auf und rase den Berg hinab. Eine schöne Abfahrt, nicht ganz so steil und bis S.Caterina ordentlich schnell. Danach muß ich wieder arbeiten, es ist windig und bis Bormio nun deutlich flacher. Am Fuße des Stelvio verstaue ich erneut Knielinge und Weste und beginne den Aufstieg in der niedrigen Abendsonne. Weit sollte ich nicht kommen, ein Auto hält neben mir, aus dem Fenster schaut Jan und empfiehlt mir, mal einen Blick auf die Uhr zu werfen. Verdammt, schon so spät? Ich will erst trotzdem weiterfahren, aber das Risiko im Hotel das Abendessen zu verpassen, läßt sich nicht leugnen. Schließlich gebe ich den Mayo und steige etwas oberhalb von Bormio ins Begleitfahrzeug.

In Solda bin ich schon wieder besser gelaunt...verdammt, Mortirolo und Gavia!

Bildfolge:

1 - Pantani-Denkmal am Mortirolo
2 - Paßhöhe Mortirolo
3 - Monno
4 - am Gavia
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Re: Alpen im Spätsommer

Beitrag von peso » Mo 4. Sep 2006, 18:54

Sonnabend

170 km / 5000 hm

Die Aufzeichnung habe ich erst in Prato gestartet.

Sonnabend, Stelviotag. Die Paßstraße von 09:00 - 15:00 ab Trafoi für den motorisierten Verkehr gesperrt. Wohnt man da in Solda, ist die Befahrung des Stelvio natürlich eine verpflichtende Konsequenz. Allerdings gab es vorher noch ein bißchen Pionierarbeit zu erledigen und ein paar Salite noch unbekannte Anstiege zu befahren.

Ich stelle bis Gomagoi eine neue persönliche Bestleistung bergab auf und brauche dann bis Prato mindestens eine halbe Stunde. Die eine Straßenhälfte ist dicht gefüllt mit 350 Tour-de-France-Feldern, auf der anderen quälen sich Busse, Horden von Motorrädern und ein etwas genervter Radfahrer den Berg hinunter. Die Geschwindigkeit, mit der die meisten hier schon im Flachstück unterwegs sind, ist beängstigend. Ich rechne mit 4-6 Stunden bis zur Paßhöhe. Da quetscht sich ein blonder Liquigasfahrer mit profibunter Entourage durch die beiden Kolonnen und fährt gleich mal locker 20 km/h schneller als die meist schaltungstechnisch und manchmal körperlich untersetzten Freizeitradler. Ich schätze die Verteilung auf 2/3 MTBs und 1/3 Rennräder.
Endlich bin ich in Prato und biege rechts ab Richtung Tschengls. Nach ein paar Hundert Metern bin ich durch die schlecht eingestellte Bewässerung der Apfelplantagen angenehm naß und darf die ersten 14% des Tages in den Ort hinhein überwinden. Auf dem Radweg geht es weiter bis Lasa, wo ich mal schauen möchte, wie weit es sich mit dem Rennrad zur Göflaner Hütte fahren läßt. Der Asphalt ist zunächst sensationell und wieder mal hübsch im Wald versteckt. Steil wird es natürlich auch - 15% gleich auf dem ersten Kilometer. Ich passiere den Abzweig nach Tarnello und folge der Ausschilderung zu den Mamorbrüchen bei Steigungen um 10%. Weit komme ich leider nicht, schon auf 1430 m Höhe endet der schwarze Belag und es empfiehlt sich zur Fortsetzung ein MTB. Immerhin 5,3 km mit 9,5%, die sich so als Einstimmung sehr gut fahren ließen.

Zurück in Lasa unterquere ich die SS 40 und klettere erneut durch die Apfelpflanzungen nach Tanas. Sofort ist es ordentlich steil, die ersten zwei Kilometer geht es mit durchschnittlich 11% nach oben, kurzzeitig lese ich eine 18 auf dem Computer. Ein Traktor hat etwas Mühe, mich zu überholen und für einen kurzen Moment überlege ich, ob ich das Bergrennen gegen die Bauern nicht doch gewinnen könnte, lasse aber bald den Quatsch. Das digitale Quecksilber zeigt bereits 26 Grad und ich kann wegen der vielen Riegel in meinem Trikot die Windweste nicht verstauen, flattere also schwitzend weiter nach oben. Den höchsten Punkt der Höhenstraße erreicht man bei etwa 1610 m, danach geht es in einer unübersichtlichen und schlecht asphaltierten Straße wieder runter nach Sluderno. Wieder wird fleißig das Obst gewässert, nur daß ich mir ob der nassen Straße in der Abfahrt etwas Sorgen mache. Die Daten des sehr empfehlenswerten Anstiegs: 8,09 km / 648 hm / 7,9%.

Zwischen Sluderno und Tarces bleibt mir nur die recht stark befahrene SS 40, aber nach dem Abzweig hoch nach Mazia wird es sofort ruhiger und, natürlich, steiler. Breit und zweispurig liegt diese Autobahn voll in der Mittagssonne, die ersten 2 km warten mit 11,5% Durchschnittssteigung auf, ich habe Mühe, meine Geschwindigkeit im zweistelligen Bereich zu halten. Immer wieder liegen kleine Rampen mit 15% an, die man mit dem Auge gar nicht mehr erkennt, sondern nur in Beinen spürt. Dazu bricht kaum eine Kurve den bangen Blick nach oben, bis es endlich etwas flacher wird ( 3 km mit 6%) und mich ein paar deutsche Urlauber aus ihren Autos anfeuern. Schließlich folgt das letzte Steilstück mit 12% in den Ort hinein und ich schaue mich schon angestrengt nach einer Wasserquelle um. Meine Karte verspricht noch 250 zusätzliche Höhenmeter bis Tanai, aber das sind geschätzte 6 km und mir dann doch zu reizlos. Insgesamt sind es 6,6 km / 546 hm / 8,2%.

Die Abfahrt entschädigt für den mühsamen Aufstieg, in Malles Venosta biege ich nach Glorenza ab und fühle mich plötzlich wieder sehr stark. Auf dem flachen Stück bis Prato überhole ich komplette italienische Radvereine und halte dann nur kurz, um meine Flaschen zu füllen. Jetzt endlich wird der Stelvio in ganzer Länge befahren und "die Charakteristik des Anstiegs bewahrt" (TM). Bis Gomagoi macht es wirklich großen Spaß, mein Computer zeigt konstante 1100 hm / Stunde auf der 5-6% steilen Anfahrt. Im Ort überhole ich einen Quäldich-Fahrer und begebe mich dann in das Kehrengewirr. Obwohl es schon später ist (ca. 14:00), sind immer noch Hunderte Radfahrer am Berg, was für ordentlich Motivation sorgt. In Trafoi warten schon die PKW auf freie Fahrt und ich beeile mich, daß ich nach oben komme. 15:03 schießen die ersten Motorräder an mir vorbei, 5 Minuten später folgen die Autokolonnen. Ab der Franzenshöhe geht dann nichts mehr, ein Stau über 2-3 Kehren zwingt mich sogar zum Anhalten, auch wenn man mit dem Rad jetzt natürlich noch immer am schnellsten unterwegs ist. 1 km vor dem Ziel schalte ich auf das 42er und setzte zum Schlußspurt an. "Magst 'ne Wurst?" Nein, auch heute nicht. Cola und Wasser müssen reichen.

Die Abfahrt nach Gomagoi möchte ich mir jetzt nicht zumuten und wähle die Alternative über den Umbrail. Also drei Kilometer auf der Stelviostraße Richtung Bormio und dann rechts ab in Richtung Schweiz. So schlau wie ich waren noch ganze Hundertschaften an Radlern - so schnell allerdings nicht. Keine Ahnung, was ich bergab überholt habe, es dürften aber mehr Leute als am Anstieg gewesen sein. Schließlich fahre ich erneut über Glorenza nach Prato und beginne den Schlußanstieg nach Solda. Der Verkehr hat sich etwas beruhigt, auch schwitzende Menschen auf Rädern sind nur noch wenige unterwegs. Ich lasse mir fast ein bißchen Zeit, weil es die letzten Höhenmeter in den Alpen sein werden.

In 3,5 Tagen waren es schließlich 534 km / 15.550 hm.

Stelvio - der Beeindruckendste
Gavia - der landschaftlich Schönste
Foscagno - der Langweiligste
Ofen - der Seltsamste
Umbrail - der (für mich) Schwierigste
Mortirolo - mein neuer Lieblingspaß :liebe:

Bildfolge:

1 - Blick auf Prato von Tanas aus
0209.gif 0209_01.jpg
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Re: Alpen im Spätsommer

Beitrag von Frank » Mo 4. Sep 2006, 19:31

nicht dass jetzt bei euch schon wieder diese depressive Phase einsetzt :D , steigern kann man das ja nicht mehr.

Ich frage mich nur, was ich gemacht hätte, wenn ich mitgefahren wäre. Das Ulle-Prinzip? Formaufbau im Rennen oder :doper: ?

Da seid ihr ja schöne Touren gefahren, wie war denn nun der Mortirolo?
Bild

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Re: Alpen im Spätsommer

Beitrag von Barus » Mo 4. Sep 2006, 19:46

Dann war die Kohlenstrasse reinstes Zuckerschlecken. ;)

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Re: Alpen im Spätsommer

Beitrag von tobi » Mo 4. Sep 2006, 19:58

gerade mal 1500hm mehr.....soviel ist das doch gar nicht :maedchen:

Nun mal ehrlich: jeden Tag solch gewaltigen Strecken, das ist schon ziemlich heftig :anbetung:

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Re: Alpen im Spätsommer

Beitrag von ThoHei » Mo 4. Sep 2006, 20:01

:anbetung: :anbetung: :anbetung: :anbetung: :anbetung: :anbetung: :anbetung: :anbetung: :anbetung: :anbetung: :anbetung: :anbetung:

Ich glaub ich bleib bei der nächsten Forumsausfahrt zu Hause.

Das kann man wirklich kaum noch toppen.



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Re: Alpen im Spätsommer

Beitrag von pneumo » Mo 4. Sep 2006, 20:12

:augenreib: :augenreib: :augenreib: :augenreib: :augenreib:

feine fotos- traumhafte landschaft zum sport treiben-kinnlade unten
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Re: Alpen im Spätsommer

Beitrag von peso » Mo 4. Sep 2006, 20:49

Frank hat geschrieben:Da seid ihr ja schöne Touren gefahren, wie war denn nun der Mortirolo?
Nur Geduld. Ich ergänze die Tourenbeschreibungen Stück für Stück. Tag 1 ist schon online.
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