FichKona individuell mit Zuschlag

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Blechreder
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FichKona individuell mit Zuschlag

Beitrag von Blechreder » Mo 15. Sep 2008, 20:37

Da der Bericht fuer ein anderes Nicht-Rad-Forum eh schon geschrieben ist ...
Ich war - wegen des Gepaecks - mit dem Trekking-Rad unterwegs, die Strecke ist aber, bis auf wenige Meter (auf Etappe 2) auch Rennradtauglich. Tracks auf Wunsch.

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Seit ich vor mehreren Jahren einen entsprechenden Bericht in der "tour" gelesen habe, spukte der Gedanke in meinem Hinterkopf: Eine Nord-Süd-Durchquerung der ostdeutschen Bundesländer (oder ehemaligen DDR) mit dem Fahrrad.
Das es das Ganze als organisierte Non-Stopp-Rennradfernfahrt seit Jahren gibt, erfuhr ich erst 2007. Ein erster eigener Anlauf scheiterte im gleichen Jahr an den Absagen zweier potentieller Mitfahrer. Darum wurde für 2008 also der Soloritt angepeilt. Es geht mir dabei um das Fahren, d.h. kulturelle oder sonstige Highlights werden zwar wahrgenommen, i.d.R. wird dafür aber nicht angehalten.

Vorher:
Stress im Job und allgemeine Bequemlichkeit lassen die Vorbereitungen erst zwei Wochen vor Urlaubsbeginn starten. Immerhin habe ich mir kurz vorher schon einen Edge 705 geleistet, um das zeitfressende Gefriemel mit Karten zu minimieren, an das ich mich vom vergangenen Jahr noch mit Schrecken errinnere. Zeit zum Einarbeiten in das Gerät bleibt da natürlich nicht. Die Strecke steht endgültig zwei Tage vor Abfahrt, die ich kurzfristig vorziehen muss, weil ein Freund, der mich auf den Fichtelberg begleiten möchte, am ursprünglich geplanten Termin plötzlich doch nicht frei bekommt. Ich schaffe es zu meiner eigenen Überraschung am letzten Tag sogar noch, in fast allen Etappenorten Unterkünfte vorzubestellen. Es kann also losgehen.

Etappe 01 (02.08.)
Ich befördere das Gepäck portionsweise aus der fünften Etage hinab und korrigiere dann die schusselig vernietete Kette, die mir am gestrigen Stammtisch Hohn und Spott eintrug. Noch frische Kellerluft in die Reifen gepumpt ... und mit vernachlässigbaren 30 Minuten Verspätung startet mein Jahresurlaub 2008 - 18kg Trekking-Rad, 25kg Gepäck und 74kg Fahrer gehen auf die Strecke.
Der Edge geleitet mich durch teilweise unbekannt Sträßchen aus Leipzig heraus und gibt mir so Gelegenheit einmal ein ganze Gasse mit Stadthäusern zu bestaunen. Schon in Markleeberg allerding zeigt sich seine erste Grenze auf – wenn man als Zwischenstation einen Ort ausgewählt hat, soll man unbedingt am Marktplatz/Rathaus vorbeifahren. Aber nach ein paar hundert Metern findet er sich jeweils mit meiner Ignoranz ab.
Die Strecke kenne ich i.W. schon vom vergangenen Jahr, auch wenn einige Details abweichen. Deshalb erinnern mich einige Ortsnamen (Rupertsgrün, Hauptmannsgrün) sofort an giftige Stiche, die mir das Laktat in die Oberschenkel trieben. Aber entweder die Strecke ist wirklich anders oder ich bin besser in Form ...
In Auerbach werde ich von meinem Freund erwartet, der mich die letzten Kilometer des Tages begleitet. Bei ihm zu Hause werde ich nach kurzer Erholungspause mit einer übergrossen Portion Lasagne verwöhnt, bevor es zum vogtländischen Volksfest geht, auf dem ich der Dame des Hauses die vergessenen Blumen schiesse. Wehrdienst sei Dank.
Leipzig – Falkenstein/Vogtland: Tagesstrecke 131km / Höhenmeter 966hm / Nettofahrzeit 6:10h

Etappe 02 (03.08.)
Heute steht der Aufstieg auf den Fichtelberg bevor, auf Rat/Wunsch meines Freundes nicht über die Strasse sondern über den Kammweg, d.h. vorwiegend Waldwege. Die sind größtenteils erträglich, wir müssen nur zweimal kurz wegen einer Kombination aus Anstieg und Schotter absteigen und schieben. Trotzdem zwingt der Wegezustand meinen Blick meist auf die Strecke, so dass ich das Rotwild, das dreißig Meter vor uns aus dem Wald brechen soll, nicht wahrnehme. Die auf dem Höhenprofil des Kammweges verzeichneten Anstiege, über die ich mir seit Tagen schon Gejammer meines Begleiters anhören musste, sind mehr als vertretbar. Da wir uns vorher geeinigt hatten “am Anstieg jeder für sich” komme ich in den Genuss von einigen zusätzlichen Erholungsminuten am jeweiligen “Gipfel”, aber leider nicht in den Besitz von Fotos mit mir als Objekt. Seis drum ...
Auf tschechischer Seite erfreuen uns die sich häufenden Radfahrergruppen mit vielen Kindern, die sich allerdings durch eine gewisse Immobilität auszeichnen.
Als wir von Bozi Dar kommend die Grenzstation erreichen, überrede ich meinen Begleiter mit Blick auf die nur noch fehlenden 180hm den Anstieg auch zu wagen, was er in den Tagen zuvor noch grundweg abgelehnt hatte. Wir genehmigen uns die Reste der Energie-Gels und starten zum finalen Anstieg des Tages. Nach einer Abkürzung seinerseits, die ihm einen kurzen Vorsprung verschafft, treibe ich die 40kg-Fuhre im Alleingang den Berg hoch. Unterwegs überhole ich eine radreisende (laut Trikot) Schwabin und auf dem letzten Anstieg, dessen Anblick mich erst fast verzweifeln lässt, der sich aber als nicht gar so schlimm erweist, auch noch ihre Begleiter auf einem Tandem. Oben geht eine steife Brise, so dass ich schnell das Windstopper-Unterhemd anziehe.
Nach der Ankunft meines Freundes feiern wir uns ein bisschen, Essen und Trinken ausgiebig und lassen uns von seiner Freundin in Heldenpose fotografieren. Während mein Freund sein Rad für die Heimreise per PKW zerlegt, rolle ich ca. 300hm abwärts bis an den Ortsausgang von Oberwiesenthal und nehme mein Quartier in Beschlag. Die bei der Abfahrt offensichtlich gewordene lockere Vorderradbremse wird sofort korrigiert.
Falkenstein/Vogtland – Kurort Oberwiesenthal: 88km / 1345hm / 6:02h

Etappe 03 (04.08.)
An diesem Morgen erspart mir der Streckenplan den befürchteten Wiederaufstieg durch Oberwiesenthal und beginnt mit einer herrlich langen Abfahrt. Kurz befürchte ich, mich verfahren zu haben, als plötzlich zwei Herden Alpakas auf den Wiesen neben der Strasse auftauchen. Da es so schön rollt, entscheide ich mich gegen einen Fotostopp. Nach der ersten Stunde ist der Spass aber schnell vorbei, denn die Strasse stürzt sich in jeden Ort, um diesen jeweils in einem giftigen Stich wieder zu verlassen. Oben angekommen sieht man sich einem unangenehmen Seitenwind ausgesetzt. Außerdem hat es begonnen in Schauern zu regnen. Regenjacke an, Regenjacke aus im Zwanzig-Minuten-Abstand. Zum Streckenende kommt aber wieder die Sonne heraus, so dass der Tag versöhnlich endet. Geithain selber ist eigentlich nicht weiter erwähnenswert, diese Kleinstädte sind recht hübsch herausgeputzt, aber in der Woche jedenfalls wie ausgestorben.
Kurort Oberwiesenthal – Geithain: 101km / 1113hm / 4:36h

Etappe 04 (05.08.)
Heute ist es soweit – ich spüre zum ersten Mal meine Beine. Da kommt mir entgegen, dass die Strecke zunehmend flacher wird. Als der Edge ausfällt (ein Vorgang, der mich den Rest der Tour begleiten wird) befinde ich mich kurz vor Wurzen. In Ermangelung einer besseren Idee, beschliesse ich dem hier ausgeschilderten Mulderadweg zu folgen. 15 Minuten später weiss ich wieder, weshalb ich so etwas nie mehr im Leben machen wollte: Ich stehe orientierungslos mitten im Wald. Ich schlage mich dann in bekanntere Gebiete (Machern) durch und reaktiviere den Edge. Gegen den immer stärker werdenden Gegenwind kämpfe ich mich meinem heutigen Ziel entgegen, nur um schliesslich zehn Minuten nach Schließung des Museums anzulangen, dessen Besuch mir empfohlen worden war. Wird statt der kulturellen halt der gastronomischen Attraktionen Aufmerksamkeit gewidmet.
Geithain – Bad Düben: 102km / 533hm / 4:51h

Etappe 05 (06.08.)
Was sich gestern bereits abgezeichnet hat, bestätigt sich heute. Der Gegenwind wird zum Problem. Zeigt sich die Gegend zu Beginn mit der Durchfahrt zwischen Muldestausee und Goitzsche noch abwechslungsreich, ist es damit spätetstens hinter Dessau leider vorbei. Ein weiteres Problem neben dem Wind ist die gastronomische Versorgung. In den Dörfern, die ich durchfahre gibt es keine Gasthöfe, die um diese Uhrzeit bereits geöffnet haben und auch Hinweisschilder auf abseits gelegene gastronomische Angebote erweisen sich mehrmals als irreführend. Nach zwei Stunden werde ich kurz vor dem Ziel aber doch noch fündig. Frisch gestärkt geht es auf die letzten Kilometer. Heute erwarte ich ein besonderes Verwöhnprogramm, denn ich übernachte bei meinen Eltern. Nach einem heissen Wannenbad geht es in eine sehr abwechslungsreiche Kunstausstellung und auf einen kleinen Innenstadtrundgang. Am Abend verstehe ich endlich, was mein Fichtelbergbegleiter meinte, als er am Sonntagabend von “Schwierigkeiten beim Treppensteigen” sprach ...
Bad Düben – Brandenburg an der Havel: 134km / 220hm / 4:42h

Etappe 06 (07.08.)
Heiß, heute ist es trotz mittlerer Brise nicht auszuhalten. Es ist so heiß, dass ich als Sonnenschutz die Radkappe aufsetze, weil mir sonst die Sonne das Gehirn austrocknen wird. Dazu nehme man die unsagbar öde Landschaft der Ostprignitz und heraus kommt ein ziemlich beschissener Tag. Es ist stinklangweilig, ich finde keinen Rhythmus – und auf einer Strecke von 50km auch wieder kein Gasthaus. Zur Krönung des Tages stellt sich heraus, dass ich die falsche Adresse angegeben habe. Ich finde zwar die richtige Strasse und die Hausnummer auch, aber ich bin im falschen Vorort von Wittstock. Macht also noch mal 25km obendrauf. Der kulturelle Teil wird heute gestrichen, weil ich keine Lust habe noch mal 8km nach Wittstock reinzufahren. Ich bin nach der Hitzeschlacht so K.O., dass mich nicht mal die Bundesstrasse stört, die direkt unter meinem Fenster vorbeiführt.
Brandenburg an der Havel – Heiligengrabe: 144km / 288hm / 6:17h

Etappe 07 (08.08.)
Eigentlich sollte es heute nach Güstrow gehen, aber wegen der Hanse Sail in Rostock(!) ist in der ganzen Stadt kein Zimmer zu bekommen gewesen. Planänderung: Ab nach Dargun. Da die Strecke nicht geplant war, muss der Edge heute erstmals seine Qualitäten im Autorouting beweisen. Nach dem Eingeben des neuen Ziels muss ich mich gleich noch mal hinsetzen, das Gerät zeigt mir 210km an. Auf der Karte sah das aber deutlich kürzer aus … Ich fahre trotzdem los mit dem Plan zwischen Waren und Malchin den Zug zu nehmen. Trotz aktiviertem „Hauptstrassen vermeiden“ werde ich die ersten 50km auf der vergleichsweise schmalen B103 geführt. Der Spaß hält sich in Grenzen. Unterwegs schaue ich noch mal auf die Karte und gehe dazu über, die Strecke in kleinere Etappen aufzuteilen. So peile ich statt Waren jetzt direkt Malchin an und von dort ist es dann ja nicht mehr allzu weit. Zum Glück, denn kurz hinter Malchin beginnt es zunehmend zu regnen. Vor Ort dann eine erfreuliche Überraschung: feines Hotel, feines Örtchen, feine Gegend. Ich mach mich noch ein wenig auf die Socken, besuche die örtliche Klosterruine und mache bei jetzt wieder strahlendstem Sonnenschein einige Fotos.
Heiligengrabe – Dargun: 126km / 126hm / 5:03h

Etappe 08 (09.08.)
Vor dem Frühstück kommt heute Motivation aus dem Fernseher. In Peking ist das Strassenrennen der Männer mit dem Mitfavoriten Schumacher gestartet. Der fährt zu dieser Zeit mit dem Peloton relativ unmotiviert einem Bolivianer und einem Chilenen (Angabe ohne Garantie) hinterher. Ich schliesse daraus, dass die Sache momentan auch ohne mich auskommen kann und gehe selbst auf die Strecke. Die ersten 15km sind die Hölle: grobes unregelmässiges Kopfsteinpflaster, Betonplatten und zerfurchte Feldwege wechseln sich munter ab und ich frage mich immer dringlicher: Wollen die hier keine Strassen bauen oder können sie es einfach nicht? Nach kurzer Zeit tun mir dazu noch die Knie weh, die gestern im Regen etwas kalt geworden sind. Als sich die Strasse bessert ist er wieder da, mein Freund der Gegenwind. Heute haben wir beide aber nur relativ kurz das Vergnügen, denn durch die Veränderung des gestrigen Etappenortes bin ich bereits mittags in Stralsund, wo der Nachmittag und Abend im Meeresmuseum, am Hafen und in der ansehnlichen Altstadt verbracht wird. Leider habe ich wegen des vorgezogenen Starts (s. "Vorher") nicht mehr die Telefonnummer von Bekannten erfragen können, mit denen ich mich treffen wollte.
Herr Schumacher ist übrigens, im Gegensatz zu mir, sein geplantes Tagespensum nicht abgefahren ;-)
Dargun – Stralsund: 73km / 160hm / 3:22h

Etappe 09 (10.08.)
Auf zum Finale meines persönlichen FichKonas. Da ich die heutige Tour als Rundkurs geplant habe, entfällt das tägliche Zusammenpacken der Ausrüstung und ich mache mich mit nur einer Ortlieb und dem Nötigsten auf den Weg. Der Edge weiss scheinbar, das heute Sonntag ist, denn nachdem er mich 100m um den vor der (übrigens sehr schnuckeligen) Pension gelegenen Parkplatz geführt hat, vermeldet er „Ziel erreicht!“, obwohl ich Kap Arkona als Zwischenziel angegeben hatte.
Ich überlege kurz ... aber im Gegensatz zum Alltag ist während des Urlaubs der Ehrgeiz grösser als der innere Schweinehund.
Ich mach mich also vorerst ohne GPS-Unterstützung auf die Suche nach dem Rügendamm. Nachdem ich 20 Minuten durch die Stadt gekreuzt bin, fängt es an, sich einzuregnen. Ich greife erst zur Regenjacke und dann auch noch zu den Beinlingen, die ich glücklicherweise eingesteckt habe. Zwei radreisende Spanier, die mir über den Weg fahren sind ebenfalls auf der Suche nach dem Rügendamm, aber wir entscheiden uns an einer Kreuzung für unterschiedliche Richtungen. Als ich die Strecke 10Minuten später dann endlich finde, sehe ich die beiden auch gerade von weitem heranrollen. Da unsere Geschwindigkeiten aber zu unterschiedlich sind, fahre ich von dannen. So früh am Morgen (es ist kurz vor 9Uhr) fährt es sich auf den kleinen Sträßchen noch ganz angenehm, zumal mir heute ausnahmsweise Rückenwind zur Seite steht. Nach zwei Stunden hört auch der Regen auf, der zunehmende Autoverkehr nervt dafür ein bisschen. Als ich ein kurzes Stück auf einem strassenbegleitenden Radweg zurücklege und gerade ein wenig am Edge rumspiele, bricht 20m vor mir ein Reh aus dem Gebüsch und springt über das angrenzende Feld davon. Das hätte auch schief gehen können ...
Um 12Uhr habe ich mein erstes Reiseziel erreicht, die Leuchttürme am Kap Arkona. Ich gucke kurz auf die stoisch daliegende Ostsee, lasse mich fotografieren, trinke einen Kaffee und ermittle die Daten für „meinen“ FichKona

(ca. 770km, ca. 32½h Fahrtzeit; damit habe ich den beim Original-FichKona geforderten Schnitt erreicht)

Danach mache ich mich entgegen dem zum Kap hochpilgernden Besucherstrom auf die Rückfahrt.
Der früh begrüsste Rückenwind ist jetzt natürlich wieder entgegen meiner Fahrtrichtung unterwegs und macht mir das Leben sauer. Dafür kann ich mich auf der Wittower Fähre kurz ausruhen. Der Rest der Tour geht dann so dahin, die letzten 1½h wieder mit Regen, der sogar noch stärker ist, als am Vormittag. Ich bin jedenfalls gut durchnässt, als ich meine Pension wieder erreiche. Am Abend gibt es einen Stadtbummel durch die Altstadt und ausgiebiges Energiereserven auffüllen beim Spanier am Marktplatz. Lecker.
Stralsund – Kap Arkona – Stralsund: 154km / 603hm / 6:46h

Etappe 10 (11.08.)
Heute ändert sich die Fahrtrichtung, denn Hamburg ist mein zweites Ziel auf dieser Reise. Westwärts geht es also und ich kann sofort bestätigen, dass aus dieser Richtung vorherrschend der Wind weht. Zwar nicht sehr stark, aber dafür stetig. Überhaupt ist es heute nicht gerade eine Rollstrecke, ich finde keinen Rhythmus und obendrein tun mir schon wieder die Knie weh.
Dafür geht es v.a. am Anfang auf qualitativ guten Radwegen voran. Das hat man ja auch nicht oft. Ich quäle mich also dem Tagesziel Wismar entgegen, das sich als äußerst schmuckes Städtchen entpuppt. Noch besser als in Stralsund kommt hier die Backsteingotik zur Geltung, die mir zahlreiche Fotomotive bietet, besonders die Marienkirche, von der nur noch der Glockenturm steht. In Wismar begegnen mir auch erstmals andere Radreisende in nennenswerter Zahl.
Stralsund – Wismar: 133km / 397hm / 6:18h

Etappe 11 (12.08.)
Und weiter gen Westen, zu Tagesbeginn in strömendem Regen, der nach einer Stunde langsam nachlässt. Die Strassen winden sich durch die Gegend und auch sonst ist heute nicht besonders viel los. Die einzige berichtenswerte Begebenheit ist ein Fuchs, der neben der Strasse auf der Lauer liegt und bei meinem Herannahen erschreckt flüchtet.
Die Einfahrt nach Hamburg ist dann doch etwas nervig und zieht sich in die Länge aber nach dem Einchecken im sehr guten Hostel mache ich mich per U-Bahn auf in die City. Natürlich fängt es prompt an zu gewittern und auf der Suche nach einem Abendessen werde ich klatschnass. In der Hansestadt gibt es scheinbar nur italienische Restaurants und darauf habe ich heute gar keine Lust. Ich lande schliesslich in einer Fischbraterei. Zu allem Überfluss habe ich auch noch mein Handy im Zimmer liegen lassen, weshalb ich liebe Bekannte nicht anrufen kann …
Wismar – Hamburg: 147km / 680hm / 6:28h
Nach aussen hatte ich den FichKona als mein Reiseziel bekannt gemacht, mein eigenes “Pflichtprogramm” war die Tour bis Hamburg. Alles was jetzt folgt ist Kür.

Etappe 12 (13.08.)
Nun steht mir der längste Tagesabschnitt bevor, denn ich möchte zum Abendessen die Beine unter den Tisch meiner Schwester in Hannover strecken. Los geht es mit starkem, zeitweise böigem Wind, der meine Steuerkünste fordert. Die Ausfahrt durch den Hamburger Hafen ist so die Hölle und dauert fast zwei Stunden. Als ich das geschafft habe, genieße ich die Umgebung der Lüneburger Heide umso intensiver und lasse mich von am Nachmittag einsetzenden Gewittern nicht beeindrucken. Zu meiner guten Laune trägt auch der Straßenzustand bei, den ich hinter Bad Fallingbostel, bei der Durchfahrt durch ein enormes Manövergebiet der Bundeswehr und der britischen Streitkräfte, nur als sensationell bezeichnen kann. „Ende der Privatstrasse der BW“ teilt mir ein Schild nach ca. 50km mit. Um so ein riesiges Gelände in Schuss zu halten, wird offenbar jede Hilfe gebraucht und so kommt mir, als ich auf eine Kurve zufahre, eine „Armee“ von Heidschnucken auf der angrenzenden Wiese entgegen, geschätzt irgendetwas zwischen 500 und 1000 Tiere. Fantastisch.
Je näher ich Hannover komme, umso deutlicher machen sich die Tageskilometer bemerkbar. Zweifellos die Königsetappe.
Hamburg – Hannover: 172km / 342hm / 8:26h

Etappe 13 (14.08.)
Heute beginnt der Tag mit einer Wiederentdeckung. Der sagenumwobene und selten beobachtete Rückenwind greift mir vormittags dankenswerterweise unter die Arme. Das ist auch notwendig, denn der gestrige Tag macht sich bemerkbar: die Knie schmerzen beim Beschleunigen, mein Nacken ist total verspannt, rechts ist die Achillessehne gereizt und links könnte sich der Arm besser anfühlen. Und Sitzbeschwerden habe ich auch, so dass ich öfter mal aus dem Sattel gehen muss. Ich bin kurz davor, die Reise zu beenden – aber es kommt einfach kein Bahnhof und wie es so ist: Plötzlich sind es nur noch 50km bis ins Ziel …
Nachdem der Tag flach beginnt, summieren sich die Steigungen im Harzvorland, so dass ich den Aufzeichnungen des Edge misstraue. Das sollen nur 300 Höhenmeter gewesen sein? Ab Wolfenbüttel führt die Strecke durchweg über die mir aus 2007 bereits bekannte Bundesstrasse, die aber zumindest im ehemaligen westdeutschen Zonenrandgebiet von guten Radwegen begleitet wird. Es wird zur Abwechslung mal wieder sehr sonnig. Als ich Quedlinburg erreiche, habe ich wenig Lust erst noch lange durch die Stadt zu streifen und quartiere mich im ersten Hotel in Marktplatznähe ein. Am Abend sind die Wehwehchen abgeklungen, dafür brennen mir jetzt die Augen - wahrscheinlich vom Erntestaub, der mich den ganzen Nachmittag begleitet hat.
Hannover – Quedlinburg: 144km / 333hm / 6:33h

Etappe 14 (15.08.)
Finale! Der Tag beginnt wieder nicht so toll, es rollt einfach nicht. Erst als ich an einer Baustelle 100m schieben muss, finde ich anschließend schnell einen Rhythmus. Und dann kommt auch gleich ein Leckerli - ein ca. 3km langer, gewundener Anstieg durch den Wald.
So geht es aber nicht weiter, denn nicht nur, dass die langweilige Gegend des Mansfelder Landes (i.W. so: man fährt auf ein Plateau hoch und das war es dann - Straße geradeaus und links und rechts Felder, Felder, Felder) vor mir liegt, es fängt nach 30km auch noch an zu regnen und zwar richtig! Aufhören wird es heute auch nicht mehr. Ich bin also schön durchgeweicht als ich mich Halle/Saale nähere, nicht gerade meine Lieblingsstadt, seit ich da ein Jahr wohnen musste. Ich habe bei dem Wetter richtig Schiss vor der Stadtdurchfahrt, denn in Halle sind die Straßen meist sehr schmal, gerne mit buckligem Kopfsteinpflaster versehen und zusätzlich großzügig mit Straßenbahnschienen bestückt. Und jetzt eben auch noch rutschig … Aber dann erweist sich alles als nicht so schlimm – bis ich mich an der letzten bedenklichen Kreuzung zum Linksabbiegen einordnen will. Durch eine abschüssige Strasse etwas in Schwung gekommen fädelt sich mein Hinterrad in eine Schiene ein und wirft mich mit Schmackes zu Boden. Am Lowrider löst sich eine Tasche, die einige Meter davonschlittert und ich pralle voll auf die linke Seite. Zum Glück kam hinter mir kein Fahrzeug! Der Adrenalinschub ist groß genug, um mich sofort wieder aufspringen zu lassen und alles zur Begutachtung auf den Bürgersteig zu verfrachten. Kaputt scheint nichts zu sein, auch gebrochen ist offensichtlich nichts. Links schmerzt die Hüfte, es blutet aber scheinbar nicht. Ich gehe kein Risiko ein und schiebe das Rad über die verfluchte Kreuzung, um dann die Fahrt wieder aufzunehmen. Etwa 1½h später habe ich es geschafft und bin zurück in Leipzig. Als letzte Anstrengung meines Urlaubs (der noch eine Woche andauert, die ich vorwiegend auf der Couch verbringen werde) wird das Gepäck in den fünften Stock geschafft und dann bereite ich mir ein heißes Wannenbad …
Quedlinburg – Leipzig: 132km / 460hm / 5:57h

Summe der 14 Tage: 1781km Gesamtstrecke / 7566hm Gesamtanstieg / 81:31h Gesamtnettofahrzeit

Nachher:
Geschafft! Ich werde erst mal ein paar Tage kein Fahrrad mehr anschauen (okay, für Einkäufe werden Ausnahmen gemacht).
Insgesamt bin ich mit den zwei Wochen sehr zufrieden: Mit dem Wetter hatte ich im Wesentlichen Glück, bis auf den letzten Tag war es zwar nicht so schön wie im letzten Jahr, aber durchaus erträglich.
Das Wichtigste: Ich habe es geschafft, die gesamte Strecke durchzuhalten, auch wenn das v.a. an den letzten vier Tagen nicht immer einfach war und die Grenze zur Schinderei manchmal erreicht wurde. Aber der stolze Blick zurück wiegt das mehr als auf. Zum Glück zeigte sich auch mein Rad wieder so, wie ich es gewohnt bin: Kein Defekt.
Bei der Einschätzung der Strecke lag ich allerdings voll daneben: Als Flachlandradler hatte ich vor den "Bergen" einen Heidenrespekt und tat die Flachetappen mit einem Schulterzucken ab. Im Nachhinein ist es genau andersrum: Bergfahren macht Spaß und ist abwechslungsreich (wo es raufgeht, geht es i.d.R. auch mal wieder ein Stück runter), Gegenwind in der Ebene hat man mit etwas Pech den ganzen Tag.
Ein wenig laborierte ich aber noch an den Folgen des Halle-Sturzes, der wohl doch heftiger war als der erste Eindruck vermittelte – ich weiß drei Tage lang kaum, wie ich mich bewegen soll, um die Muskelkaterschmerzen im Oberkörper nicht ins unerträgliche zu steigern. Und auf der Abschürfung schlafen konnte ich auch ein paar Tage nicht.
Highlight war der Edge, der wirklich jeden Cent wert ist. Sei es die schnelle Korrektur der Routen bei notwendiger Abweichung (Baustellen/Straßensperrungen) oder der jederzeit gute Überblick über die Strecke. Nur der Straßenzustand könnte gerade für Radfahrer eine stärkere Rolle spielen.
Sehr schön auch die Möglichkeit, ihn als Stadtplan/-führer zu verwenden. Die gespeicherten “Points of Interest” der jeweiligen Stadt duchforstet, führte er mich zu vielen Sehenswürdigkeiten in den Etappenorten.

Und nächstes Jahr dann endlich eine Tour mit dem Rennrad ...

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Re: FichKona individuell mit Zuschlag

Beitrag von Charlie » Mo 15. Sep 2008, 20:56

kannst du noch sitzen???
ansonsten :hut:


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Re: FichKona individuell mit Zuschlag

Beitrag von pneumo » Di 16. Sep 2008, 08:11

Toll!!! :hut:
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Re: FichKona individuell mit Zuschlag

Beitrag von sippe » Di 16. Sep 2008, 09:10

Respekt - schöne Tour!
"will halt auch dabeigewesen sein"-Fahrer :-D

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Re: FichKona individuell mit Zuschlag

Beitrag von Winni » Di 16. Sep 2008, 10:04

Ordentlicher Ritt.
Bist du alles allein gefahren?

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Re: FichKona individuell mit Zuschlag

Beitrag von Blechreder » Di 16. Sep 2008, 10:44

Bis auf den zweiten Tag bin ich alleine gefahren.

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Re: FichKona individuell mit Zuschlag

Beitrag von Corrateccer » Di 16. Sep 2008, 10:49

Glückwunsch zu dieser Tour und der Bericht ist auch sehr schön geschrieben.

Gruß Jens :pfeif:
Mann sieht sich evtl.später auf der Straße

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Re: FichKona individuell mit Zuschlag

Beitrag von sportfisch » Mo 9. Feb 2009, 18:40

Ganz stark. :hut: :hut: :hut:
Glückwunsch fürs Durchhalten und den tollen Bericht.
-------------------------------------------------
Gruß
Markus Sportfisch

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Re: FichKona individuell mit Zuschlag

Beitrag von Speedy » Mo 9. Feb 2009, 21:50

Blechreder hat geschrieben: Ein erster eigener Anlauf scheiterte im gleichen Jahr an den Absagen zweier potentieller Mitfahrer. Darum wurde für 2008 also der Soloritt angepeilt.
Tja, das kommt mir leider auch bekannt vor.
Blechreder hat geschrieben: Das Wichtigste: Ich habe es geschafft, die gesamte Strecke durchzuhalten, auch wenn das v.a. an den letzten vier Tagen nicht immer einfach war und die Grenze zur Schinderei manchmal erreicht wurde. Aber der stolze Blick zurück wiegt das mehr als auf.
Wenn du mal zum Nordkap willst ... ich erwarte deine PM.
:hut:

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Re: FichKona individuell mit Zuschlag

Beitrag von Blechreder » Di 10. Feb 2009, 11:11

Diesen August geht es wieder los, hoffentlich mit dem gepimpten Renner.
Momentan im Hinterkopf: Leipzig - München/Stuttgart - Bremen - Flensburg - (Berlin) - Leipzig (Richtung egal), 14Tage.
Mitfahrer angenehm.

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