45. Harzer Bergpreis - Allein mit dem Wind

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Chelm
Sensationssiebter
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45. Harzer Bergpreis - Allein mit dem Wind

Beitrag von Chelm » Mo 11. Mai 2009, 09:14

Ich will mal meine Erlebnisse vom 45. Harzer Bergpreis (B-/C-Klasse-Rennen) schildern.
Start war um 9.30 Uhr in Wernigerode, was ein sonntägliches Aufstehen von 5.30 Uhr zur Folge hatte. Aber die frühe Uhrzeit bringt den entscheidenden Vorteil, dass die Generation 75+ ohne aktive Rennsporterfahrung, die Straßen noch nicht mit Tempo 60 verstopft.

In Wernigerode angekommen, ist die Top-Organisation ersteinmal hervorzuheben. Es gibt Parkplätze, man steht nicht in der Pampa, die Nummernausgabe funktioniert und es gibt eine anständige sanitäre Grundversorgung.
Um 9.30 starten wir auf folgende Strecke und rollen zunächst neutral über winzige Straßen hinaus auf die breiten Ortsverbindungstraßen. 106 km liegen also vor uns.

Mir wurde von unzähligen Leuten gesagt, dass ich mich doch dieses Mal bitte nicht am Ende des Feldes aufhalten soll, auch wenn es mir dort gefällt, weil ich dazu neige die Rennen so schon frühzeitig zu verlieren. Also bemühe ich mich in der Neutralisation im vorderen Drittel zu fahren und als dann Ralf Keller vor mir auftacht, schnappe ich mir sein Hinterrad und vertraue in die personifizierte Radsporterfahrung. Ich finde mich tatsächlich im vorderen Drittel wieder und der erste Kampf ist damit gewonnen. :)
Nach 15 flotten Kilometern steht die erste Bergwertung an, welche ein regelrechtes Schieben im Peloton in Gang setzt, denn wirklich jeder meint vorne in den Berg reinfahren zu müssen. Von Blankenburg geht es nach Hüttenrode, dabei sind auf 6,5km 250 hm zu überwinden. Es rollt gute und neben mir schnauft die Hälfte des Pelotons und ich frage mich warum viele meinen mit dem großen Blatt hier hoch stampfen zu müssen. Ein Fahrer von Weissenfels versucht sich die Prämie zu holen, allerdings setzt das Feld nach und so sprinten am Ende 3 Leute um die erste Bergprämie ... Ich fahre ganz vorne im Peloton und versuch in der kurzen Abfahrt an die ersten 3 heranzukommen. Die 3 Ausreißer werden danach auch wieder gestellt.

Bei Kilometer 25,5 kommt Wendefurth und an diesem "Misthügel" habe ich schon vor dem Rennen (m)eine Attacke geplant, denn es kommt eine schnelle Abfahrt von Almsfeld und gleich danach kommen 120 hm auf 1,2 km. :pfeif:
Der dezente Hinweis aus dem Tour-Forum lässt mich also dieses Stück als geeignet empfinden, denn durch "jahrelanges" Abfahren der Muldentalhügel aus der Streckendatenbank (speziell Polkenberg) bin ich top vorbereit
Ich fahre vorne in den Hügel hinein und alle um mich herum meinen die 10% mit dem großen Blatt abarbeiten zumüssen. Als man das Krachen der Ketten hört, ist mir klar jetzt geht es los.
Ich beschleunige von 16km/h auf 18km/h ... und ich komme weg ... die Beine schmerzen ... aber es klappt. Im Feld scheint keiner nachsetzen zu wollen. Ich ziehe los und hätte mir die Frage stellen sollen, was ich denn die nächsten Kilometer so plane: Erstmal zur zweiten Bergwertung kommen, ist die Devise. Ich passiere Hasselfelde und aus dem Juryfahrzeug erfahre ich meinen Vorsprung: 30s.
Jetzt kommt die Abfahrt zur Eisfelder Talmühle. Die Abfahrt ist noch nass und die Frage nach Haftungseigenschaften eines Vittoria Open Corsa CX stellt sich durch aus, aber trotz das ich mir langsam vorkomme habe ich 1:15 min am Fuße folgender Hölle Vorsprung.
Den Anstieg möchten ich unserer kletterfrakltion unbedingt ans Herz legen ... sehr schön :ohnmacht: :)
Oben angekommen hole ich mir 3 Punkte für die Bergwertung und erfahre später, dass ich sensationelle 1:50min Vorsprung habe: " Was ich mit den Worten quittiere: "1:50? Auf das Feld? Ach du Schei**." Irgendwie ist mir klar, dass hier keine Gruppe mehr kommt, sondern ich alleine vor dem Feld herumgurksen werde.
Das Jury-Fahrzeug was mich begleitet, hat von meiner unkonventionellen Tretweise, die in Hannover der Sprecher als eckig beschrieb, noch nichts gehört und stellt mir dann die Frage: "Ist bei Dir alles in Ordnung? Geht es Dir gut?" Ich antworte: "Hjäh" und nicke. :D
Ich durchquere Hohegeiß und kurz vor Sorge, wo ich mit 2:40min meinen maximalen Vorsprung herausfahren kann, kommt jetzt ein Abschnitt der kein bisschen rollt ... der Aspahlt ist rauh und der Wind aus Nord und Nordost tut sein übriges. Als ich Elend erreiche geht es mir auch wie dem Ortsamen, ich frage nach meinem Vorsprung, welcher auf 2:15 eingedampft wurde.
Zur Bergwertung sind es noch 13 km bis dahin komme ich immer und der Abschnitt nach Elbingerode über Mandelholz und Königshütte rollt spürbar besser. Aber der Wind frisst mich auf ... in Elbingerode habe ich nur noch 1:35min von meinem Vorsprung. Die Bergwertung hole ich mir, aber die 1,6 km mit mickrigen 75 hm sind mittlerweile alles andere als locker, trotzdem es läuft und ich bekomme wieder Oberwasser. An der Bergwertung ist mein Vorsprung auf 1:15 min geschrumpft. Die 3 Punkte bringen mir den Gesamtsieg in der Bergwertung
Die Abfahrt nach Heimburg soll meine Rettung sein, zumindest bilde ich mir das ein. Die Abfahrt ist eng und hat nicht gerade den super Aspahlt, aber die Straße ist trocken. Vor einer Gefahrenstelle für Autofahrer wird mit Verkehrszeichen und Tempo 30 gewarnt: Ich fahre 60km/h. Die Kurve ist der Lacher, denke ich, allerdings kommt danach eine Schikane, wo ich mich fast in der Felswand wiederfinde ... :o
In Heimburg verbremse ich mich in der Linkskurve ... ich merke deutlich wie es mit der Konzentration bergab geht. Von Tunnel kann keine Rede mehr sein, denn mittlerweile wäre wahrscheinlich manch buddhistischer Mönch über meinen Meditationsgang begeistert.
Es sind noch 10 km und ich habe 50 s Vorsprung. Oh nein das ist nicht mal ein einfacher Janschi ... jetzt alles ... Aber es rollt kein bisschen: 53x(11-12-13-14) mit Kadenzen des Grauens.
In diesem Rennen wird immer gesprintet, haben mir alle vorher gesagt, denn hier kommt immer eine große Gruppe an. Mir ist das egal ... ich bin vorne und nach 70 km im Wind will ich auch gewinnen!
Begleitmotorräder und Jury-Fahrzeug fahren an mir vorbei und geben mir meinen aktuellen Vorsprung durch, und jedes Fahrezug, was an mir vorbei muss, sagt mir im Unterbewußtsein: Die kommen näher. Die Fahrzeugführer schreien mich an, gib alles ... Anfeuerungen kommen aus allen Richtungen. Mitbekommen und Verarbeiten kann ich es aber schon lange nicht mehr. In Benzingerode habe ich noch 35 s und es sind noch 5 km ... es geht hinab nach Wernigerode ... doch mit meinen 45 km/h komme ich mir so unglaublich langsam vor ... mittlerweile geht nichts mehr, ich habe nicht mal mehr die Kraft meinen Kopf nach hinten zu drehen ... willkommen im Nirvana. Kein Fahrzeug ist mehr da aber es sind noch 2 km, wo ich noch 25 s Vorsprung habe. Ich komme zur flame rouge und jetzt noch die Lindenalle, ein minimalischer Stich, welcher auf 300 m eine Durchschnittssteigung von 10% besitzt. Ich sehe das 500m Schild. Ich passiere es aber der "Anstieg" frisst mich auf ... ich fahre und 400m vor dem Ziel kommt das Rauschen der Formel 1-Boliden der Landstraße. Das Feld, oder was davon übrig ist, zieht an mir vorbei. Welch ein Gefühl ... nämlich gar keins. Einfach nur Leere.
Nach fast 80 km im Alleingang werde ich vielleicht 50. Im Ziel bin ich am Ende und liege ersteinmal auf dem Bürgersteig ... zumindest die Sonne scheint, ist mein erster Gedanke, an dem ich mich erinnern kann. Man merkt doch wie einfach der Mensch gestrickt ist und über was man sich so freuen kann ... über den Sonnenschein :)

Ralf Keller und Torsten Kunath beglückwünschen mich wie einige andere auch zu meinem Soloritt, welches im Nachhinein auch ein schönes Gefühl ist von solch erfahrenen Radfahrern den Respekt ausgesprochen zu bekommen. :)
Danach darf ich zur Siegerehrung der Bergwertung, welche mir eine Vase, eine Gerbera und ein Couvert als großes Trostpflaster bringt.

Zum Rennen kann ich nur sagen, dass es top organisiert ist und durch eine super Streckenführung glänzt. Okay für mich sind 20 abfallende Kilometer zum Schluß eher nichts, aber man kann nicht alles haben.

Das Interview mit dem Sprecher ist auch lustig gewesen, so ist die erste Festellung, die der Mann am Mikro trifft: "Oh ein Fahrer mit herlichem sächsisch." Auf die Frage wie es auf der Strecke war, entgegne ich nur ein Wort: "Hart." Ich vermute er hätte ich etwas mehr gewünscht. Ob ich auf meiner Radsportkollegen böse sei, weil sie mich kurz vor dem Ziel eingeholt haben, entgegne ich: "Das ist Radrennen."
Letztendlich kann er aus mir doch noch ein: "Natürlich ko**t es mich an, dass ich vor dem Ziel eingeholt wurde, denn ich wäre gerne Aufgestiegen," herauskitzel. :roll:

Anbei 3 Bilder.
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Uhle
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Re: 45. Harzer Bergpreis - Allein mit dem Wind

Beitrag von Uhle » Mo 11. Mai 2009, 10:02

Glückwunsch :cool:
Schade das es nicht geklappt hat, war gestern beim Giro genau das gleiche.
:hut:

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Charlie
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Re: 45. Harzer Bergpreis - Allein mit dem Wind

Beitrag von Charlie » Mo 11. Mai 2009, 10:02

hey du, wenigstens die bergwertung
schade das es mit dem rest nicht geklappt hat

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Erdnah
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Re: 45. Harzer Bergpreis - Allein mit dem Wind

Beitrag von Erdnah » Mo 11. Mai 2009, 11:25

Oh Mann, Chelm,
Du bist ne Granate! Glückwunsch zur Leistung!
Da ich bei rad-net noch keine Ergebnisse sehen kann: Lars hat gewonnen, ja? Mit dem bin ich den ersten MTB-Transalp gemeinsam gefahren. Der tritt also noch genauso rein wie damals.
Erdnah
Fahn ma mal schneller!
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Winni
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Re: 45. Harzer Bergpreis - Allein mit dem Wind

Beitrag von Winni » Mo 11. Mai 2009, 12:12

Glückwunsch! Tolle Leistung!
Das ist eben häufig das Schicksal der Ausreißer. Aber es war wirklich verdammt knapp :anbetung:
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Re: 45. Harzer Bergpreis - Allein mit dem Wind

Beitrag von lobo » Mo 11. Mai 2009, 12:22

Glückwunsch auch von mir und schade das es nicht gelappt. Haste aber super geschrieben!

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Uhle
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Re: 45. Harzer Bergpreis - Allein mit dem Wind

Beitrag von Uhle » Mo 11. Mai 2009, 13:23

http://www.mikro-funk-timing.de/ergebni ... c.tab.html
Keller(24) hab ich gefunden, wo bist Du :?
:hut:

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triplex128
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Re: 45. Harzer Bergpreis - Allein mit dem Wind

Beitrag von triplex128 » Mo 11. Mai 2009, 13:26

Carbon hat geschrieben:http://www.mikro-funk-timing.de/ergebni ... c.tab.html
Keller(24) hab ich gefunden, wo bist Du :?
:hut:

das ist die ergebnissliste von 2008!!!!!
machmanedsoschnell.....

im Aufbau 2020

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Uhle
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Re: 45. Harzer Bergpreis - Allein mit dem Wind

Beitrag von Uhle » Mo 11. Mai 2009, 13:44

:wand: Ich hatte 2009 eingegeben und nicht noch mal geschaut :x
:hut:

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peso
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Re: 45. Harzer Bergpreis - Allein mit dem Wind

Beitrag von peso » Mo 11. Mai 2009, 14:15

Sophienhof ist wirklich ein netter Anstieg. "Daniel Gobert" ist übrigens mein Künstlername. :)

Respekt! :anbetung: Besser so als "nur" mitgerollt. Sieg und Aufstieg kommen schon noch. Da bin ich mir sicher.
Reißbrett 2016

"Ich bin in diesem Jahr auf noch keiner Ausfahrt schneller als 24 km/h im Schnitt gewesen." (Anonymer Radfahrer, 2005)

"Treffpunkt ist jedenfalls 05:30 an der Uniklinik." (Good old Times)

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