Die Joch-Jagd geht weiter:Jetzt bist du dran,du Timmelsjoch

Hier kannst du reinschreiben, was du auf deinen Touren alles erlebt hast
Antworten
Benutzeravatar
Joseph
Beiträge:261
Registriert:Mo 29. Aug 2005, 17:30
Wohnort:Leipzig
Die Joch-Jagd geht weiter:Jetzt bist du dran,du Timmelsjoch

Beitrag von Joseph » Sa 4. Sep 2010, 23:51

Verdammt, wo ist die Strasse? Ich blicke nach rechts den Hang runter. Da müsste doch die Strasse sein, die ich gerade gefahren bin! Aber da ist nichts. Ich sehe überhaupt nichts. Nur eine weisse Wand. Was ist hier los, frage ich mich noch, da wird mir klar. Ich bin in den Wolken. Dicht wie Nebel, die Sicht reicht nicht bis zur nächsten Kehre. Nur einen gefühlten Augenschlag später spüre ich die Kälte, mein Atem ... . Der Blick auf das Display zeigt: 2.000 Meter Höhe. Mehr als 500 Höhenmeter noch und jetzt kommt er: Der Regen.

Ein paar Stunden zuvor: Ich bin auf dem Weg nach Südtirol. Komme vom Gardasee, meinem Lieblingsrevier, auch weil ich hier so „kostengünstig“ bei meiner Schwester wohnen kann.
Aber nun liegt das Nest hinter mir, der Höhepunkt aber noch vor mir. Ich will eine offene Rechnung begleiten, endlich das Timmelsjoch erklettern. Im letzten Jahr musste ich das Ziel absagen, nach Silfser Joch und noch eine Runde über den Mendel- und Gampenpasse, verschob ich das Vorhaben Timmelsjoch - zu gross war mein Respekt. Vor der Länge, den Höhenmetern und vor allem dem Wetter.

Wir verlassen die Autobahn, gleich ist Meran erreicht und dann werden wir auch schon in Schenna sein. Kurz im Hotel einchecken, umziehen und dann aufs Rad. Von Schenna zum Fuss des Timmelsjoch sind es knapp 24 Kilometer. Der Abschnitt steht bei mir im Kopf unter dem Titel „Warmfahren“. Das ich später dort schon richtig ins Schwitzen kommen werde, dass weiss ich ja jetzt noch nicht. Meine Gedanken kreisen viel mehr um das Wetter. Die Vorhersage war nicht so ganz eindeutig, rede ich mir noch immer mehr ein, als es realistisch zu sehen. „Gewitter sind immer wieder möglich“. Das schien mir doch noch immer besser als die für morgen: „Ständiger Regen“. Möglich heisst ja nicht „garantiert“. In diesem Moment betätigt meine Schwester die Scheibenwischer, es regnet in Strömen. Danke.

Im Hotel empfängt mich auch wenig Aufbauendes. Nach dem wir der guten Frau an der Rezeption unser Tagesziel verraten haben, entgegnet die Einheimische nur emotionslos: „Wollen sie nicht lieber einen anderen Berg nehmen?“.

Nein, will ich nicht und offenbar verlangen meine Sturheit und Optimismus auch dem Himmel Respekt ab. Der Regen hört auf, und in dem Moment, als ich auf mein Rad steige, einklicke und mich in die Abfahrt nach Meran stürze, lugt die Sonne durch. Ich grinse. Noch.

29 Kilometer, fast 1.800 Höhenmeter am Stück. Passhöhe auf 2.509 Meter. Nicht so viel wie das Stilfser Joch sage ich mir. Das Zureden hat seinen Grund. Denn ich kämpfe schon. Dabei liegt der Anstieg noch 20 Kilometer entfernt. Ich habe gerade mal Meran hinter mir gelassen, doch aus dem Einfahren bis nach St. Leonhard, wird ein ständiges Auf und Ab. Mehr als 400 Höhenmeter und immer wieder geht es mit mehr als 10 Prozent hoch. „Du Idiot“, schiesst es mir durch den Kopf. Hin und wieder ein Blick auf die Topografie würde bei der Tourenplanung nicht schaden. Ja, 400 Höhenmeter ist nicht viel, aber die Anfahrt bringt meine Zeitplanung arg ins wanken. Um 13 Uhr bin ich los, wollte den Fuss des Timmelsjoch dann so kurz vor zwei Uhr erreichen um auch nicht zu spät oben zu sein - denn erstens wird das Wetter zum Abend immer schlechter und zweitens möchte meine Schwester pünktlich zum Abendessen im Hotel sein. Ein nicht zu unterschätzender Punkt.

Ortsschild St. Leonhard, rechts geht es zum Jaufenpass, gerade vor mir zum Timmelsjoch. „Passo Rombo“ klingt natürlich noch etwas ehrfurchtsvoller.
Die Sonne brennt mittlerweile und ich bereue meine Kleiderwahl. Unter dem kurzen Trikot trage ich ein Herbst-Unterhemd. Viel zu warm für diese Temperaturen. Egal, jetzt ist es zu spät. Vor mir steht das Schild „Timmelsjoch: Aperto, offen“. Ich atme durch.

Viele Erinnerungen an die ersten 15 Kilometer habe ich gar nicht mehr. Nur, dass sie mir schon richtig weh taten. Blicke für die Landschaft erlaubt mir mein Puls noch kaum. Die Wasserfälle, die fallen mir noch ein. Wohl nur, weil ich mich gern darunter gestellt hätte. Es geht nur mühsam voran. Zwar hatte ich mir keine Zeit vorgenommen, aber das jetzt ist doch irgendwie zu langsam. Mit 13 - 15 Km/h bewege ich mich Höhenmeter für Höhenmeter hoch. Die Beine sind schwer. Waren die drei Tage Pause doch ein Fehler? Es fühlt sich so an. Aus Ehrgeiz lasse ich die Ortschaften an mir vorbei gehen, genau wie der verlockend aussehende „Servicewagen“. Meine Schwester blickt mich etwas mitleidig an. Oh man, sehe ich schon so schlecht aus? Mir fällt die Beschreibung des Anstiegs ein. Da stand etwas von zwei Rampen mit bis zu 13 Prozent auf den ersten Kilometern. Was zum Teufel verstehen die unter Rampen? Für mich ist das eine einzige Rampe. Geht das denn nie zu Ende? Irgendwann muss der Berg doch mal Luft holen und mir Erholung gönnen? Vor mir aber sieht es nicht flacher aus. Vielleicht nach der Kurve, sage ich mir. Es folgt Enttäuschung auf Enttäuschung. Meine Beine haben sich einen wirklich schlechten Tag ausgesucht und ich habe noch nicht mal die Hälfte hinter mir.
Dann endlich nach 14 Kilometern wird es ein wenig flacher. Dann sehe ich den Parkplatz und das Auto. Pause. Ich will nur noch eine Pause.

Meine Schwester begleitet mich das erste Mal auf einen Berg. Vielleicht erklärt das den sorgenvollen Blick. Die Frage, ob ich weiter fahren will, stellt sie mir aber nicht. Ich hätte eh bejaht. Fünf Minuten habe ich durchgepustet, nun will ich weiter. Die 5 - 6 Prozent auf den nächsten Metern lassen mich Mut schöpfen und ich sage mir: Nächste Pause in zehn Kilometern, dann mit Schwung in die letzten Kehren. Vor mir taucht ein Mitstreiter auf. Mit Rucksack. Als ich ihn erreiche kommen wir ins Gespräch und meine erste Skepsis nachdem ich seine unrasierten Beine gesehen hatte, weicht tiefem Respekt. Er ist mit seinem Bruder unterwegs. Seit acht Tagen schon. Jeden Tag eine Etappe. Im Allgäu sind sie gestartet, es geht durch die Alpen. Gestern das Stilfser, heute das Timmelsjoch. Immer mit 9 Kilo Gepäck dabei. Schon dass ist beeindruckend. Als er mir dann aber auch noch erzählt, dass sie erst seit März Rennrad fahren, bin ich endgültig beeindruckt. Allerdings fahren sie in zwei unterschiedlichen Klassen. Der Bruder hat fast 30 Kilogramm Übergewicht, fährt mit Sandalen (sein Erstes Mal mit Klickpedalen endete in einen bösen Sturz, danach wollte er nicht mehr) und hat vorher sehr lange keinen Sport gemacht. Er fährt weit hinter uns sein eigenes Rennen.
Wie wir da so redend nebeneinander radeln - bei weiter moderaten Steigungsraten - merke ich, wie viel Spass es doch macht mal nicht allein zu fahren. Bis Kilometer 20 fahren wir zusammen, dann trennen uns die plötzlich auf 10 und mehr Prozent ansteigenden Serpentinen. Erst langsam, dann immer schneller entschwindet er hinter mir. Nicht weil ich unbedingt stärker bin, sein Gepäck tut sicher viel dazu bei.

Bald aber habe ich keine Puste mehr an ihn zu denken. Vor mir türmt sich der Steilhang auf. Sehen aber kann ich ihn nicht. Denn fast von dem einen auf den anderen Moment verändert sich die Umgebung, besser der Himmel. Die Sonne ist weg, verschwunden und damit auch die Wärme. Ich hatte sie ja schon von unten gesehen, jetzt bin ich mitten in den Wolken. Und hier ist es bitterkalt. Ich überlege, ob ich anhalten soll, Weste und Armlinge anlege. Soll ich? Nein, keine Pause mehr. Weniger aus verspürender Kraft, viel mehr aus Bedenken an das Wieder-Anfahren. Auch wenn ich hier fast schon mit 11 Km/h hoch krieche, ich will den Rhythmus nicht unterbrechen. Und dann sehe ich: Ich könnte eine Zeit unter 2:20 erreichen. Also trete ich rein. Okay, ich fahre im gleichen Tempo weiter.
Ich rechne, vielleicht noch zwei Kilometer. Die Strasse geht nach links und plötzlich ist stock duster. Ich bin ich im Tunnel. Gut, das ist nicht der Erste im Anstieg, aber auf jeden Fall der längste und dunkelste. Nach ein paar Metern muss ich stoppen. Ich sehe gar nix mehr, taste mich fast zum Strassenrand. Ja, ich wusste von den Tunneln, doch beim Aufbruch habe ich vergessen die Lampe zu montieren. Zum Glück taucht hinter mir meine Schwester auf. Also mache ich es wie die Profis. Lasse das Begleitfahrzeug die Strasse ausleuchten. So geht es immer zügiger weiter. Zügig deshalb, weil es nun fast schon flach ist. Zumindest im Vergleich zu den letzten Kilometern. Jetzt hält mich nichts mehr. Ich beschleunige und die Anzeige im Garmin erreicht schon fast vergessen Werte. Dann die letzte Kurve und ich sehe es: Das Paßschild. Der Jubel fällt kurz aus. Kein Panorama, nur Nebel, Regen, Kälte. Diese Paßhöhe ist definitiv die ungemütlichste, die ich je erlebt habe. Ich schlüpfe in wärmere Kleidung, wir machen die Beweisfotos und dann folgt das, was zwei von Sölden hoch kommende Radler so kommentieren: „Was? Du fährst nicht runter? Krankenkasse, oder was?“
Ich blicke mich um, spüre den immer kräftigeren Regen und grinse Beide an. Dann beglückwünschen wir uns gegenseitig, ich steige ins Auto und wir fahren runter.

Das alles trübt das Erlebnis etwas. Die Zeit nicht: 2:11. Für die schlechten Beine bin ich zufrieden. Aber nächstes Jahr komme ich wieder. Will ja auch mal das tolle Panorama geniessen können.
Dateianhänge
IMG_7639.jpg
IMG_7590.jpg
IMG_7643.jpg
IMG_7641.jpg
IMG_7589.jpg
IMG_7601.jpg
IMG_7614.jpg
IMG_7616.jpg

Benutzeravatar
Joseph
Beiträge:261
Registriert:Mo 29. Aug 2005, 17:30
Wohnort:Leipzig

Re: Die Joch-Jagd geht weiter:Jetzt bist du dran,du Timmelsjoch

Beitrag von Joseph » Sa 4. Sep 2010, 23:59

IMG_7631.jpg
Und noch ein paar Bilder...
Dateianhänge
IMG_7543.jpg
IMG_7532.jpg
IMG_7554.jpg
IMG_7550.jpg
IMG_7533.jpg
IMG_7573.jpg
IMG_7628.jpg

Schnitte
Beiträge:219
Registriert:Fr 12. Mär 2010, 06:21
Name:Katha
Wohnort:Leipzig - Reudnitz

Re: Die Joch-Jagd geht weiter:Jetzt bist du dran,du Timmelsjoch

Beitrag von Schnitte » Mo 13. Sep 2010, 11:19

schöner Bericht und meinen Respekt hast
wenn ich bedenke, dass ich in Golzern schon ans verrecken denke *hehe
nur die harten kommen in den Garten....
...und die Härteren kriegen die Gärtnerin *gggg

P.S.: das Wort Qualität kommt von quälen *muhahaha

Antworten