Hell, dunkel, hell, Frohburg, dunkel
Verfasst: Di 21. Jun 2011, 23:11
Nach Einräumung der Möglichkeit - gegenüber einem der aktivsten Forumsmitglieder -, einen Bericht zum Treiben der Audax Sachsen Randonneure zu verfassen, will ich meiner damals noch vagen Ankündigung nun Taten folgen lassen.
Es begab sich am Morgen des 03.06.2011 um 9 Uhr in Bennewitz, als sich circa 50 "verwegene Radwanderer" vor der Turnhalle am Sportplatz des kleinen Muldeörtchens abfahrbereit machten.
Sie alle waren dem Ruf Olaf Hilgers gefolgt, seines Zeichens Organisator der sächsischen Brevets, mit ihm zusammen eine Tour über offiziell 637 km anzutreten.
Ziel eines Brevets ist es, eine vorgegebene Strecke mit einem vorgegebenen Mindestschnitt zu absolvieren. Da man aber ab einer Streckenlänge x den Bruttoanteil in der Zeitkalkulation nicht mehr unter das Oberrohr fallen lassen kann, hören sich die 15 km/h zwar easy an, summa summarum wurde es trotzdem kein entspannter Selbstläufer - wie die nachfolgenden Zeilen noch zeigen werden.
Über Taucha, Leipzig und Schkeuditz führte uns Olaf als (fast) geschlossenes Gruppetto bis nach Halle. Fast deswegen, weil es manche nicht sein lassen konnten und hinter Schkeuditz ein erstes Feuerwerk als Pacemaker abbrennen ließen. Als Konsequenz war die Meute in Korbetha bereits geteilt und hatten sich erste Fahrergrüppchen mit ähnlichen Ambitionen gefunden. Die Sache mit den ähnlichen Ambitionen ist jedoch erst dann eindeutig erkennbar, wenn man gemeinsam ein paar Hügel gefahren ist (ihr kennt das) und danach noch atmen kann.
Seeburg am Süßen See bot mit seinen Weinbergen die erste landschaftliche Rahmung für den 600K-Brevet-passen-wir-zusammen-Test. Also Brust raus, Rücken ... krumm ... und Feuer, hinauf nach Neehausen und jetzt bloß nicht nachlassen. Halt, bei dieser schönen Aussicht über die Zechsteinmulde muss ich gleich noch eine Sache einstreuen: Ein Randonneur versorgt sich - im Gegensatz beispielsweise zu 5-Sterne-FichKona-nur-die-unterwegs-Massage-fehlt-noch-Radlern komplett eigenverantwortlich. Man sah dementsprechend Fahrer mit Camelbags, Gepäckträgern und großen Lenkertaschen. Hat man das Futter für die nächsten 100 km in der Gepäckträgertasche und muss, um eichhörnchengleich nach Riegeln unter den Nachtklamotten wühlend freudig überrascht einen Bananengeschmack-Molkeriegel hervorzuziehen, einen kurzen Stopp einlegen, so passiert dasselbe wie in jedem guten Radrennen.
Ein Leben als Einzelkämpfer
Wir schreiben den 03.06.2011, es ist 12.50 Uhr, und 152 Tageskilometer wurden meiner Sigma/Garmin-Gemeinde bereits gutgeschrieben.
Zu dritt rollte es über Hedersleben und Polleben fort bis Mansfeld, als die zwei anderen Eichhörnchen keine Lust auf Suche hatten, stattdessen direkt den Lidl-Nussbaum ansteuerten.
Ich wollte eigentlich erst auf dem Brocken wieder ein Päuschen einlegen, entschied mich aber in Anbetracht der noch fehlenden UV-Schutz-Auflage ebenfalls für einen Boxenstopp.
Die Gedanken waren selbstverständlich ganz woanders - bei der Spitzengruppe rund um Olaf.
Hm, setzt man voraus, dass Menschen mehrheitlich in einem ähnlichen Rahmen ticken, dann wären die hier vielleicht auch irgendwo einge...
...moin!!!
Yes, ein Lob auf die Rewe-Fraktion.
Jetzt aber nichts wie hinterher und nochmal Anschluss an Olaf gewinnen. Die Lücke schloss sich rasch und ich hatte neuen Windschatten bis kurz vor Harzgerode. Vor mir arbeiteten scheinbar 4 Herzen, obwohl es nur zwei Hinterräder gab. Stoisch schaufelte der V8 in 60 rpm die 35 km/h beiseite und zog etwa 5 Simson-Roller hinter sich her. Kranke Typen. Wo sind eigentlich meine beiden anderen Begleiter? Lust auf ein Päuschen? Bei Lidl?
Okay, Schluss, ich will auch die restlichen 500 km noch überleben und wünsche euch eine gute Fahrt. So rollte ich im besten Randonneursgedanken allein durch Güntersberge und Bärenrode, immer mal wieder einen Schulterblick riskierend, ob da nicht vielleicht doch wer heran kommt. Und siehe da, welche Freude (obwohl, die sind folglich schneller gefahren als du), hinter Bärenrode finden wir drei "Pollebener" erneut zusammen. Die Chemie stimmte zwischen uns - dass hatte ich schon zu Beginn gespürt - und auch die angeschlagene Pace kann ich nicht nur im Flachen mitgehen.
Zu dritt ist man weniger allein
Mittlerweile haben wir frühen Nachmittag, 210 km sind absolviert, 23 km verblieben bis zur Rappbodetalsperre. Ein Motorradunfall an der Kreuzung Altenbraker Straße / B81 ließ uns gegen viertel fünf die Gefahren der Straße allzu nachdrücklich gewahr werden. Einziger Lichtblick: Man konnte mit dem Fahrrad problemlos am Stau, der sich in alle vier Richtungen erstreckte, vorbei und den angestrebten Weg fortsetzen.
Elbingerode, Schierke - von hier ab sind es nur noch 10 Kilometer bis zum Brockengipfel. Die Brockenstraße wird kräftig saniert und bot auf den ersten Metern einen wesentlich rennradfreundlicheren Eindruck als noch vor einem Jahr. Hat man diesen bereits fertiggestellten Abschnitt jedoch passiert, wird das Geläuf deutlich ungemütlicher, durchlöchert und bucklig.
Welche Motivation war da das (jetzt aber wirklich letztmalige während des gesamten Brevets) Entgegenkommen der Spitze rund um Olaf auf circa halber Strecke hinauf zum Gipfel.
Die Jungs hatten ihre ersten Stempel gesammelt und strebten sichtlich zufrieden der Nacht entgegen. Bis zum Anbrechen derselben waren es aber noch gute 2,5 h.
Nachdem die Leute ihre Stempel in der DWD-Wetterwarte bekommen hatten, traten wir die Ab- und Weiterfahrt gen Kyffhäuser an; Oberhalb von Trautenstein schließlich verabschiedete sich der erste Tag mit einer Abendstimmung, die viel schöner nicht hätte sein können. Na doch, in einem Punkt schon.
Luftlinie zum Brocken: 19 km | Fahrstrecke: 31 km
Abendessen in der Westernstadt Hasselfelde, Weiterfahrt über Stiege, Stolberg (Geburtsstadt Thomas Müntzers), Rottleberode (hier endet der Harz nach Süden, denn das Grundgebirge taucht unter den Zechstein) und Uftrungen. Wir unterquerten bei Berga die A38 und rollten auf der B85 weiter bis Kelbra, an den Fuß des Kyffhäusers. Tja, natürlich gäbe es eine Straße außenherum - gesäumt von so feinen Ortsnamen wie Hackpfüffel und Borxleben - doch wir nahmen den Kyffhäuser selbstverständlich gemäß Streckenplan direkt. Jetzt in der Nacht ist er außerdem sehr angenehm zu fahren, weil man nämlich nicht Angst haben muss, hinter der nächsten Kurve von einem Motorrad umgemäht zu werden. Einzig Wildschweine könnten zum Problem werden.
Guten Morgen
0.42 Uhr, 360 km, 04.06.2011. Wir haben den Kyffhäuser hinter uns gelassen und rollen Artern entgegen. Die Geologie dieser Region ist geprägt vom Zechstein (daher auch die Bezeichnung "Bad" Frankenhausen für dessen Solquellen) und damit einhergehend Auslaugungsniederungen. Durch eine solche, nämlich die Kleine Goldene Aue, fuhren wir.
In Nausitz - es hatte mittlerweile 1.38 Uhr - lud ein besonderer Platz ein zu einem Nickerchen. Er war zwar steinig, aber dafür breit und warm und befand sich im Halbschatten der Straßenlampen. Die nächtliche Stille auf dieser Friedhofsmauer wurde nur vom Gesang der Nachtigall und ein paar plötzlich heransurrenden Laufrädern durchbrochen. Aufstehen! 30 Minuten Pause waren vorüber und es galt, den Anschluss an die Windschattenspender nicht zu verpassen.
Nach kurzer Aufholjagd hatten wir sie eingeholt und mussten ernüchtert feststellen, dass die Gruppe leider etwas zu langsam unterwegs war. Also allein weiter, immer parallel zur Finnestörung über Wiehe, Eckartsberga bis nach Bad Sulza.
Die zweite Kontrolle im Hotel An der Therme in Bad Sulza war ganz speziell. Die Frau an der Rezeption bereitete uns nämlich um 4 Uhr eine Kanne Hagebuttentee zu und ließ für eine Stunde (tief versunken im Ledermobiliar) die Gäste im Empfangsbereich dösen.
Einmal rund um den Kurpark und dann hinauf nach Bergsulza führte uns der Track anschließend weiter gen Süden. 430 km standen zu Buche, noch knappe 300 hatte ich vor mir. Die Landschaft hier ist weiterhin geprägt von der Finnestörung, eine Tatsache, die bei Camburg besonders markant zu Tage tritt; Unterer Muschelkalk ist hier im Stadtgebiet eindrucksvoll aufgeschlossen.
Frauenpriessnitz, Wetzdorf, Mertendorf, Rauschwitz, Trotz, Serba, Hermsdorf, tausend Nester, tausend Felder, tausend Höhenmeter, tausend Sonnenstrahlen ... mir fielen immer wieder die Augen zu und ich musste arg gegen mich arbeiten. Da half es, Teil einer Gruppe von nunmehr 4 Personen zu sein, die kräftemässig perfekt aufeinander abgestimmt war.
Gemeinsam widerstanden wir dem schwachen Fleisch und arbeiteten uns - für kurze Zeit von einem einheimischen Rennradler begleitet - bis Stadtroda vor.
Der hiesige "Meisterbäcker" hielt dem Kennermund zufolge allerdings kein meisterliches Gebäck vor. Mir war diese Tatsache früh um 7.20 Uhr jedenfalls von nachrangiger Bedeutung, bekam ich als Nicht-Kaffeetrinker doch endlich eine Koffeinladung und dazu etwas Brennstoff für die Mitos.
"Yippieh, bloß noch 80 km bis zum 3. Kontrollpunkt in Berg" hätte man ausrufen können, wären da nicht diese latente Müdigkeit und eine Landschaft gewesen, deren (letztere) Modellierung keinem Zuchtmeister besser hätte gelingen können als es Kreide und Tertiär vorgemacht haben.
9.23 Uhr beschlossen wir daher, diese herrliche, frisch gemähte Wiese im Halbschatten einer kleinen Waldzunge genauer zu untersuchen und einfach mal probezuliegen. Ja, 5 Sterne (um dieses Bild von oben zu erneuern und: Nein, ich habe nichts gegen FichKona und Co.).
Schei** Hügel
Fit und munter rollte es doch gleich wieder in ansprechendem Tempo den Plothener Teichen entgegen. BTW: Was für eine Landschaft! Für die Autofahrer: A9, Abfahrt Dittersdorf. Einfach mal vorbeischauen - es lohnt sich ganz bestimmt. Im besten Fall kommt man selbstverständlich mit dem Rad hierher.
So, wo war ich stehengeblieben? Ah, gutes Stichwort. Wir wurden nämlich hinter Möschlitz buchstäblich von Oldtimern ausgebremst. Die hatten just auf unserer Strecke ein Rennen veranstaltet und wollten uns tatsächlich nicht durchlassen. Also kurzerhand die Straße verlassen und entlang des Roggenfeldes weitergelaufen.
Wenig später: Remptendorf, mein Remptendorf, wir werden dich nie vergessen. Du geliebtes D*****nest beschertest uns eine 5 km lange Waldpassage auf MTB-Wegen, über Schotter, Löcher und Wurzeln!
Versöhnlich stimmen konnte der Blick auf Schloss Burgk an der Bleilochtalsperre da nur bedingt:
Es hügelte fleißig vor sich hin, Ortsnamen wie Hölle (Stadt Naila) fielen und außerdem waren wir plötzlich im Westen. Also im östlichen Westen. Also in Bayern.
555 km in den Beinen, 14 Uhr nachmittags und ein Autohof Berg, der von Rennradfahrern gestürmt wird. Das hatte was. Autohöfe eignen sich - folgt man der Aussage von Willy Habermeyer im Süddeutsche Zeitung Magazin, Nr. 24/2011 auf S. 12ff - angeblich für wahre Schnäppchen. Dort soll es noch halbwegs verdauliche Hausmannskost zu halbwegs verdaulichen Preisen geben. Meine "Hausmannskost" bestand aus einer großen Laugenbrezel und einem Geflügel-Sandwich. Soviel dazu.
Des fei schee
Anyway, auf uns warteten jetzt die letzten 130 km bis nach Frohburg - bei zunehmender Gewitterstimmung hoffentlich nicht noch verbunden mit einer Dusche.
Und was soll ich sagen: es war einfach ein geiler Ritt. Hirschberg, Gefell, Mehltheuer, Bernsgrün, Dobia, Langenwetzendorf,... durch das traumhafte Vogtland, mit pittoresken Abfahrten und kurzen Stichen auf netten Sträßchen und ohne atmosphärische Entladungen.
In Meerane (Kontrollpunkt 4) gab es die Steile Wand als Dreingabe, bevor die Fahrt, jetzt eher Hatz, gen Frohburg fortgesetzt wurde.
20.11 Uhr, 661 km, noch 30 Kilometer bis Frohburg. Was macht man bei guten Beinen? Sie laufen lassen. Gemeinsam ging es im orangenen Bereich hinein nach Kohren-Sahlis und irgendwie wieder hinaus. Ein Radweg führte auf die Straße nach Streitwald, ein weiterer Randonneur wurde aufgelesen, TOTAL erreicht, Abendrot, Gruppenfotos, ganz großes Kino.
Ich musste an die Schlussszene des Films "Höllentour" denken. Rolf Aldag steht da im Ziel der Tour 2003 etwas verloren auf der Avenue des Champs-Elysées und schaut irgendwie leer drein. Dann steigt er auf und fährt aus dem Bild. Wir fuhren auch aus dem Bild, heimwärts und einem neuen Projekt entgegen.
* 717 km
* 7000 hm
* 30 h Netto
* 38 h Brutto
http://www.audax-sachsen.de
http://www.audax-randonneure.de
Der Link zur Strecke: klick.
Es begab sich am Morgen des 03.06.2011 um 9 Uhr in Bennewitz, als sich circa 50 "verwegene Radwanderer" vor der Turnhalle am Sportplatz des kleinen Muldeörtchens abfahrbereit machten.
Sie alle waren dem Ruf Olaf Hilgers gefolgt, seines Zeichens Organisator der sächsischen Brevets, mit ihm zusammen eine Tour über offiziell 637 km anzutreten.
Ziel eines Brevets ist es, eine vorgegebene Strecke mit einem vorgegebenen Mindestschnitt zu absolvieren. Da man aber ab einer Streckenlänge x den Bruttoanteil in der Zeitkalkulation nicht mehr unter das Oberrohr fallen lassen kann, hören sich die 15 km/h zwar easy an, summa summarum wurde es trotzdem kein entspannter Selbstläufer - wie die nachfolgenden Zeilen noch zeigen werden.
Über Taucha, Leipzig und Schkeuditz führte uns Olaf als (fast) geschlossenes Gruppetto bis nach Halle. Fast deswegen, weil es manche nicht sein lassen konnten und hinter Schkeuditz ein erstes Feuerwerk als Pacemaker abbrennen ließen. Als Konsequenz war die Meute in Korbetha bereits geteilt und hatten sich erste Fahrergrüppchen mit ähnlichen Ambitionen gefunden. Die Sache mit den ähnlichen Ambitionen ist jedoch erst dann eindeutig erkennbar, wenn man gemeinsam ein paar Hügel gefahren ist (ihr kennt das) und danach noch atmen kann.
Seeburg am Süßen See bot mit seinen Weinbergen die erste landschaftliche Rahmung für den 600K-Brevet-passen-wir-zusammen-Test. Also Brust raus, Rücken ... krumm ... und Feuer, hinauf nach Neehausen und jetzt bloß nicht nachlassen. Halt, bei dieser schönen Aussicht über die Zechsteinmulde muss ich gleich noch eine Sache einstreuen: Ein Randonneur versorgt sich - im Gegensatz beispielsweise zu 5-Sterne-FichKona-nur-die-unterwegs-Massage-fehlt-noch-Radlern komplett eigenverantwortlich. Man sah dementsprechend Fahrer mit Camelbags, Gepäckträgern und großen Lenkertaschen. Hat man das Futter für die nächsten 100 km in der Gepäckträgertasche und muss, um eichhörnchengleich nach Riegeln unter den Nachtklamotten wühlend freudig überrascht einen Bananengeschmack-Molkeriegel hervorzuziehen, einen kurzen Stopp einlegen, so passiert dasselbe wie in jedem guten Radrennen.
Ein Leben als Einzelkämpfer
Wir schreiben den 03.06.2011, es ist 12.50 Uhr, und 152 Tageskilometer wurden meiner Sigma/Garmin-Gemeinde bereits gutgeschrieben.
Zu dritt rollte es über Hedersleben und Polleben fort bis Mansfeld, als die zwei anderen Eichhörnchen keine Lust auf Suche hatten, stattdessen direkt den Lidl-Nussbaum ansteuerten.
Ich wollte eigentlich erst auf dem Brocken wieder ein Päuschen einlegen, entschied mich aber in Anbetracht der noch fehlenden UV-Schutz-Auflage ebenfalls für einen Boxenstopp.
Die Gedanken waren selbstverständlich ganz woanders - bei der Spitzengruppe rund um Olaf.
Hm, setzt man voraus, dass Menschen mehrheitlich in einem ähnlichen Rahmen ticken, dann wären die hier vielleicht auch irgendwo einge...
...moin!!!
Yes, ein Lob auf die Rewe-Fraktion.
Jetzt aber nichts wie hinterher und nochmal Anschluss an Olaf gewinnen. Die Lücke schloss sich rasch und ich hatte neuen Windschatten bis kurz vor Harzgerode. Vor mir arbeiteten scheinbar 4 Herzen, obwohl es nur zwei Hinterräder gab. Stoisch schaufelte der V8 in 60 rpm die 35 km/h beiseite und zog etwa 5 Simson-Roller hinter sich her. Kranke Typen. Wo sind eigentlich meine beiden anderen Begleiter? Lust auf ein Päuschen? Bei Lidl?
Okay, Schluss, ich will auch die restlichen 500 km noch überleben und wünsche euch eine gute Fahrt. So rollte ich im besten Randonneursgedanken allein durch Güntersberge und Bärenrode, immer mal wieder einen Schulterblick riskierend, ob da nicht vielleicht doch wer heran kommt. Und siehe da, welche Freude (obwohl, die sind folglich schneller gefahren als du), hinter Bärenrode finden wir drei "Pollebener" erneut zusammen. Die Chemie stimmte zwischen uns - dass hatte ich schon zu Beginn gespürt - und auch die angeschlagene Pace kann ich nicht nur im Flachen mitgehen.
Zu dritt ist man weniger allein
Mittlerweile haben wir frühen Nachmittag, 210 km sind absolviert, 23 km verblieben bis zur Rappbodetalsperre. Ein Motorradunfall an der Kreuzung Altenbraker Straße / B81 ließ uns gegen viertel fünf die Gefahren der Straße allzu nachdrücklich gewahr werden. Einziger Lichtblick: Man konnte mit dem Fahrrad problemlos am Stau, der sich in alle vier Richtungen erstreckte, vorbei und den angestrebten Weg fortsetzen.
Elbingerode, Schierke - von hier ab sind es nur noch 10 Kilometer bis zum Brockengipfel. Die Brockenstraße wird kräftig saniert und bot auf den ersten Metern einen wesentlich rennradfreundlicheren Eindruck als noch vor einem Jahr. Hat man diesen bereits fertiggestellten Abschnitt jedoch passiert, wird das Geläuf deutlich ungemütlicher, durchlöchert und bucklig.
Welche Motivation war da das (jetzt aber wirklich letztmalige während des gesamten Brevets) Entgegenkommen der Spitze rund um Olaf auf circa halber Strecke hinauf zum Gipfel.
Die Jungs hatten ihre ersten Stempel gesammelt und strebten sichtlich zufrieden der Nacht entgegen. Bis zum Anbrechen derselben waren es aber noch gute 2,5 h.
Nachdem die Leute ihre Stempel in der DWD-Wetterwarte bekommen hatten, traten wir die Ab- und Weiterfahrt gen Kyffhäuser an; Oberhalb von Trautenstein schließlich verabschiedete sich der erste Tag mit einer Abendstimmung, die viel schöner nicht hätte sein können. Na doch, in einem Punkt schon.
Luftlinie zum Brocken: 19 km | Fahrstrecke: 31 km
Abendessen in der Westernstadt Hasselfelde, Weiterfahrt über Stiege, Stolberg (Geburtsstadt Thomas Müntzers), Rottleberode (hier endet der Harz nach Süden, denn das Grundgebirge taucht unter den Zechstein) und Uftrungen. Wir unterquerten bei Berga die A38 und rollten auf der B85 weiter bis Kelbra, an den Fuß des Kyffhäusers. Tja, natürlich gäbe es eine Straße außenherum - gesäumt von so feinen Ortsnamen wie Hackpfüffel und Borxleben - doch wir nahmen den Kyffhäuser selbstverständlich gemäß Streckenplan direkt. Jetzt in der Nacht ist er außerdem sehr angenehm zu fahren, weil man nämlich nicht Angst haben muss, hinter der nächsten Kurve von einem Motorrad umgemäht zu werden. Einzig Wildschweine könnten zum Problem werden.
Guten Morgen
0.42 Uhr, 360 km, 04.06.2011. Wir haben den Kyffhäuser hinter uns gelassen und rollen Artern entgegen. Die Geologie dieser Region ist geprägt vom Zechstein (daher auch die Bezeichnung "Bad" Frankenhausen für dessen Solquellen) und damit einhergehend Auslaugungsniederungen. Durch eine solche, nämlich die Kleine Goldene Aue, fuhren wir.
In Nausitz - es hatte mittlerweile 1.38 Uhr - lud ein besonderer Platz ein zu einem Nickerchen. Er war zwar steinig, aber dafür breit und warm und befand sich im Halbschatten der Straßenlampen. Die nächtliche Stille auf dieser Friedhofsmauer wurde nur vom Gesang der Nachtigall und ein paar plötzlich heransurrenden Laufrädern durchbrochen. Aufstehen! 30 Minuten Pause waren vorüber und es galt, den Anschluss an die Windschattenspender nicht zu verpassen.
Nach kurzer Aufholjagd hatten wir sie eingeholt und mussten ernüchtert feststellen, dass die Gruppe leider etwas zu langsam unterwegs war. Also allein weiter, immer parallel zur Finnestörung über Wiehe, Eckartsberga bis nach Bad Sulza.
Die zweite Kontrolle im Hotel An der Therme in Bad Sulza war ganz speziell. Die Frau an der Rezeption bereitete uns nämlich um 4 Uhr eine Kanne Hagebuttentee zu und ließ für eine Stunde (tief versunken im Ledermobiliar) die Gäste im Empfangsbereich dösen.
Einmal rund um den Kurpark und dann hinauf nach Bergsulza führte uns der Track anschließend weiter gen Süden. 430 km standen zu Buche, noch knappe 300 hatte ich vor mir. Die Landschaft hier ist weiterhin geprägt von der Finnestörung, eine Tatsache, die bei Camburg besonders markant zu Tage tritt; Unterer Muschelkalk ist hier im Stadtgebiet eindrucksvoll aufgeschlossen.
Frauenpriessnitz, Wetzdorf, Mertendorf, Rauschwitz, Trotz, Serba, Hermsdorf, tausend Nester, tausend Felder, tausend Höhenmeter, tausend Sonnenstrahlen ... mir fielen immer wieder die Augen zu und ich musste arg gegen mich arbeiten. Da half es, Teil einer Gruppe von nunmehr 4 Personen zu sein, die kräftemässig perfekt aufeinander abgestimmt war.
Gemeinsam widerstanden wir dem schwachen Fleisch und arbeiteten uns - für kurze Zeit von einem einheimischen Rennradler begleitet - bis Stadtroda vor.
Der hiesige "Meisterbäcker" hielt dem Kennermund zufolge allerdings kein meisterliches Gebäck vor. Mir war diese Tatsache früh um 7.20 Uhr jedenfalls von nachrangiger Bedeutung, bekam ich als Nicht-Kaffeetrinker doch endlich eine Koffeinladung und dazu etwas Brennstoff für die Mitos.
"Yippieh, bloß noch 80 km bis zum 3. Kontrollpunkt in Berg" hätte man ausrufen können, wären da nicht diese latente Müdigkeit und eine Landschaft gewesen, deren (letztere) Modellierung keinem Zuchtmeister besser hätte gelingen können als es Kreide und Tertiär vorgemacht haben.
9.23 Uhr beschlossen wir daher, diese herrliche, frisch gemähte Wiese im Halbschatten einer kleinen Waldzunge genauer zu untersuchen und einfach mal probezuliegen. Ja, 5 Sterne (um dieses Bild von oben zu erneuern und: Nein, ich habe nichts gegen FichKona und Co.).
Schei** Hügel
Fit und munter rollte es doch gleich wieder in ansprechendem Tempo den Plothener Teichen entgegen. BTW: Was für eine Landschaft! Für die Autofahrer: A9, Abfahrt Dittersdorf. Einfach mal vorbeischauen - es lohnt sich ganz bestimmt. Im besten Fall kommt man selbstverständlich mit dem Rad hierher.
So, wo war ich stehengeblieben? Ah, gutes Stichwort. Wir wurden nämlich hinter Möschlitz buchstäblich von Oldtimern ausgebremst. Die hatten just auf unserer Strecke ein Rennen veranstaltet und wollten uns tatsächlich nicht durchlassen. Also kurzerhand die Straße verlassen und entlang des Roggenfeldes weitergelaufen.
Wenig später: Remptendorf, mein Remptendorf, wir werden dich nie vergessen. Du geliebtes D*****nest beschertest uns eine 5 km lange Waldpassage auf MTB-Wegen, über Schotter, Löcher und Wurzeln!
Versöhnlich stimmen konnte der Blick auf Schloss Burgk an der Bleilochtalsperre da nur bedingt:
Es hügelte fleißig vor sich hin, Ortsnamen wie Hölle (Stadt Naila) fielen und außerdem waren wir plötzlich im Westen. Also im östlichen Westen. Also in Bayern.
555 km in den Beinen, 14 Uhr nachmittags und ein Autohof Berg, der von Rennradfahrern gestürmt wird. Das hatte was. Autohöfe eignen sich - folgt man der Aussage von Willy Habermeyer im Süddeutsche Zeitung Magazin, Nr. 24/2011 auf S. 12ff - angeblich für wahre Schnäppchen. Dort soll es noch halbwegs verdauliche Hausmannskost zu halbwegs verdaulichen Preisen geben. Meine "Hausmannskost" bestand aus einer großen Laugenbrezel und einem Geflügel-Sandwich. Soviel dazu.
Des fei schee
Anyway, auf uns warteten jetzt die letzten 130 km bis nach Frohburg - bei zunehmender Gewitterstimmung hoffentlich nicht noch verbunden mit einer Dusche.
Und was soll ich sagen: es war einfach ein geiler Ritt. Hirschberg, Gefell, Mehltheuer, Bernsgrün, Dobia, Langenwetzendorf,... durch das traumhafte Vogtland, mit pittoresken Abfahrten und kurzen Stichen auf netten Sträßchen und ohne atmosphärische Entladungen.
In Meerane (Kontrollpunkt 4) gab es die Steile Wand als Dreingabe, bevor die Fahrt, jetzt eher Hatz, gen Frohburg fortgesetzt wurde.
20.11 Uhr, 661 km, noch 30 Kilometer bis Frohburg. Was macht man bei guten Beinen? Sie laufen lassen. Gemeinsam ging es im orangenen Bereich hinein nach Kohren-Sahlis und irgendwie wieder hinaus. Ein Radweg führte auf die Straße nach Streitwald, ein weiterer Randonneur wurde aufgelesen, TOTAL erreicht, Abendrot, Gruppenfotos, ganz großes Kino.
Ich musste an die Schlussszene des Films "Höllentour" denken. Rolf Aldag steht da im Ziel der Tour 2003 etwas verloren auf der Avenue des Champs-Elysées und schaut irgendwie leer drein. Dann steigt er auf und fährt aus dem Bild. Wir fuhren auch aus dem Bild, heimwärts und einem neuen Projekt entgegen.
* 717 km
* 7000 hm
* 30 h Netto
* 38 h Brutto
http://www.audax-sachsen.de
http://www.audax-randonneure.de
Der Link zur Strecke: klick.