Masters Cycling Classic 2012 in St. Johann

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mi67
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Masters Cycling Classic 2012 in St. Johann

Beitrag von mi67 » So 2. Sep 2012, 21:30

Dieses Jahr stand für mich erstmals die „ex-WM“, die Masters Cycling Classic als international sehr gut besetzte Radsportveranstaltung auf dem Speiseplan. Die Ziele waren leicht formuliert: top-10 beim Einzelzeitfahren und top-15 beim Straßenrennen war meine persönliche Vorgabe. Was dabei am Ende herauskam, ist ja schon durchgesickert, daher sei mir verziehen, wenn hier nur noch die Langversion des Berichts kommt.

Meine Holde war auf Chorreise, so dass ich mich alleine nach Tirol aufmachte und dort als Reminiszenz an meine Studentenzeit ein kleines Bergsteiger-Kuppelzelt auf dem Campingplatz in Waidring aufstellte. Wenigstens die ersten beiden Tage sollten ja auch noch schön bleiben. Nachdem ich Stunden benötigte, um alle Sachen zusammenzusammeln und ins Auto zu verfrachten, fuhr ich erst am späten Vormittag in Leipzig los. Durch einige Staus gebremst kam ich erst gegen 18 Uhr in St. Johann an – genau rechtzeitig, um noch die Organisatoren zu begrüßen, die gerade die Türe zur Startnummernausgabe zusperrten. OK, also gibt es die Startnummer erst morgen am Start des Zeitfahrens. Zeit, die Strecke einmal abzufahren blieb nun nicht mehr, denn ich musste noch mein Zelt bei Helligkeit aufbauen. Immerhin kam ich durch die frühe Dunkelheit auch zeitig ins Bett … oder eben nicht in ein Bett, sondern zu Schlafsack und Isomatte. Eine Impression meines Basislagers und dessen wilder Wirtschaft hängt an.

Mittwoch – Einzelzeitfahren.

Da die Strecke bereits ab 9 Uhr im Rennbetrieb befahren wurde, war zum Warmfahren eine Alternative zu suchen. Die Bundesstraße nach Waidring ging zwar leicht bergan und wäre vom Profil geeignet gewesen, aber die 40-Tonner, die mit einem knappen Meter Abstand vorbeidonnerten, führten im Auflieger zu Kaltschweiss-Attacken beim Aussteuern des immer wieder in den Windstößen verhedderten Vorderrades. Also fuhr ich in Gegenrichtung, suchte und fand den Durchschlupf zur Huberhöhe, dem „Treppenberg“, den es im Straßenrennen mehrfach zu bewältigen gilt. Danach war ich dann auch warm und legte mir den Plan für das EZF nochmals im Hinterkopf bereit: die Hinfahrt bis zum Wendehammer sei mit etwa 350 Watt zu treten, um bei der Rückfahrt aus den Tiefen meines Stammhirns Motivationsmantren zu suchen, die das langsame Absterben übertönen sollten. Da ich am Start die „Lap“-Taste des Garmin nicht traf, waren einige 0-Watt-Werte vor dem Start mit eingerechnet. Egal – ich versuchte einfach den Schnitt in Richtung der 350-er Marke zu hieven. Dabei waren 3 Vorausfahrende schnell geschnupft, aber der direkt vor mir gestartete Jens Spitzbart – im Vorjahr 9. der Altersklasse war auf dem vorwiegend flachen Kurs schon eine klarere Marke. Kurz vor der kleinen Welle 1,5 km vor dem Wendehammer dachte ich schon, ihn stellen zu können, aber er drückte das Ding brachial hoch, während ich meinen Leistungskonto an dieser Stelle nicht allzu sehr überziehen wollte. Also entschwand er wieder etwas, kam dafür nach der Wende nicht mehr recht in Schwung, so dass ich ihn dort rasch einholen konnte. Nun wurde es kurios, denn er hängte sich in meinen Windschatten, um jedes Mal, wenn er von einem Kontrolleurs-Motorrad angepfiffen wurde, mich wieder zu überholen. Damit ich nun nicht meinerseits in einen unzulässigen Windschatten gerate und Gefahr laufe, disqualifiziert zu werden, musste ich immer wieder die Fahrlinie wechseln und mich wieder an ihm vorbeidrücken. Dabei drohte mein System und Rhythmus aus den Fugen zu geraten und ich beschloss, beim kommenden Versuch von ihm, wieder an mir vorbeizufahren, einfach seine Höhe zu halten, damit er im Wind abstirbt. So kam es dann auch und als er sich wieder zurückfallen ließ, investierte ich eine kleine zusätzliche Intensitätswelle, mit der ich mich dann endlich von ihm trennen konnte. Ab etwa km 4 vor dem Ziel kam ich dann in den Genuss der vorausgesagten Absterbe-Konstellation. Darauf vorbereitet wurde nun das Kommando mental immer intensiver und bewusster eingesetzt, damit der schon längst aufgebrandete Schmerz nicht die Entscheidungs-Oberhand gewinnt. Im Zieldurchlauf vernehme ich irgendetwas von einer 25er-Zeit, ich hatte mir doch nur eine 26er vorgenommen … die Nachanalyse zeigt warum: bei der Hinfahrt hatte ich eher 360 Watt gehalten und war so über die Gesamtdistanz mit mittleren 347 Watt unterwegs gewesen – gegenüber dem gleich langen Zeitfahren der Europameisterschaften ein Zugewinn von 10 Watt.

Etwas später schaffte dann die mitnotierende Partnerin von Jens Klarheit: es war bislang die drittschnellste Zeit meiner Klasse und auch die noch folgenden Fahrer unterboten sie nicht mehr. Sieger wäre ein mit einer Fabelzeit von 24:10 und 50er Schnitt gemessener Italiener vor dem Vorjahressieger Jesper Nielsen mit einer 24:48 und mir mit 25:36 min. Wahnsinn – erste Teilnahme und gleich ein Podestplatz bei der WMCC! Mit dieser Freude im Bauch montierte ich schnell die Kurbel auf das RR um und drehte noch zum Abschluss des Radtages eine Genussrunde um den Straßenrennkurs.

Sie Siegerehrungen fanden dann abends am Rathaus von St. Johann vor großer Kulisse statt. Videoleinwand, Siegertrikots, große Pokale, Medaillen mit schmucken Trägerinnen, Flaggenaufzug, Nationalhymnen – es war schon ein großes Theater, was die Orga hier bot …
Was ich aber erst kurz vor der Ehrung erfuhr: Nielsen aber hatte eine Unregelmäßigkeit beim Italiener bemerkt, Einspruch eingelegt und damit recht behalten, denn der Italiener war offensichtlich nie am Wendehammer angekommen. Also wurde Nielsen zum Sieger und ich rutschte noch auf den Silberrang nach oben. Das Podest wurde durch den Slovaken Valasek abgerundet, der bei der EM als Vizemeister noch viele Plätze vor mir lag. Die Leistungsziele, Wünsche und Hoffnungen waren so schon am ersten Tag weit übererfüllt worden.

Der restliche Bericht folgt morgen ...
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Re: Masters Cycling Classic 2012 in St. Johann

Beitrag von peso » So 2. Sep 2012, 21:47

mi67 hat geschrieben:Nun wurde es kurios, denn er hängte sich in meinen Windschatten...
mi67 hat geschrieben:...denn der Italiener war offensichtlich nie am Wendehammer angekommen...
Hach, der Sport...

--------

Die Umstände mit Wildwest-Studenten-Zeltübernachtung und füllstandsignorierter Flaschendeko ergäben schon eine ordentliche Räuberpistole. :cool: :D

:hut:
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vantage84
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Re: Masters Cycling Classic 2012 in St. Johann

Beitrag von vantage84 » So 2. Sep 2012, 22:05

Wäre es nicht gemütlicher gewesen, das Rad ins Zelt zu stellen und sich selber mit einer Matraze in den geräumigen Passat zu legen? :D

Wie auch immer, wahnsinns Leistungswerte! Hat sich ja schon bei deiner Trainingseinheit angedeutet. :anbetung: Ich freu mich schon auf den Bericht zum Straßenrennen.
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Masters Cycling Classic 2012 in St. Johann

Beitrag von cl » So 2. Sep 2012, 22:06

:anbetung:, immer wieder :anbetung:

Muss ich morgen früh mal meinen Kindern sagen, dass ich vor unserem Urlaub mit einem Weltmeister / Vizeweltmeister trainiert habe ... und meine Frau wird's sicher gar nicht erst glauben ...

:anbetung:

SRM-System und Kuppelzelt, Isomatte und Vizeweltmeister - ein feiner Minimalismus

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vantage84
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Re: Masters Cycling Classic 2012 in St. Johann

Beitrag von vantage84 » So 2. Sep 2012, 22:08

Für ein echtes SRM System hätte der Michael aber was ordentliches lernen müssen! :D
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Re: Masters Cycling Classic 2012 in St. Johann

Beitrag von mi67 » So 2. Sep 2012, 22:49

vantage84 hat geschrieben:Wäre es nicht gemütlicher gewesen, das Rad ins Zelt zu stellen und sich selber mit einer Matraze in den geräumigen Passat zu legen? :D
Alles schon ausprobiert, aber der Passat bringt keine flache Liegefläche der erforderlichen Räkellänge. Ich hatte mich bei einer Wandertour im Elbsandsteingebiet vor Jahren denoch mal hinten hineingewickelt ... mit dem Resultat, dass starke Kondenswasserbildung dem CD-Player zusetzte und er fortan den Dienst verweigerte.

@cl:
SRM ist mir tatsächlich zu teuer. Es ist "nur" ein Power2max-System.

BTW: die Fieberkurve auf Strava (leider nur mit Anmeldung zu sehen): http://app.strava.com/rides/20524384
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Masters Cycling Classic 2012 in St. Johann

Beitrag von cl » Mo 3. Sep 2012, 06:49

vantage84 hat geschrieben:Für ein echtes SRM System hätte der Michael aber was ordentliches lernen müssen! :D
mi67 hat geschrieben:@cl:
SRM ist mir tatsächlich zu teuer. Es ist "nur" ein Power2max-System.
War schon spät gestern ... ;-)

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Re: Masters Cycling Classic 2012 in St. Johann

Beitrag von Chelm » Mo 3. Sep 2012, 08:47

Das Basislager ... der Füllstand der Flasche ist höflichst zu ignorieren!
Die Abgründe des Leistungssportdaseins ;)
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Re: Masters Cycling Classic 2012 in St. Johann

Beitrag von mi67 » Mo 3. Sep 2012, 23:11

Donnerstag – in die Berge
Da ich einmal in Tirol nicht nur Straßen im Tunnelblick sehen wollte, führte der Vormittag des zweiten Tages zur Waidringer Steinplatte, an deren Südwand ein Klettersteig ("Schusta Gangl" mit zusätzlicher "Knieschladerer-Variante") eingerichtet ist. Schön, mal wieder am Fels zu sein, auch wenn er an Klettersteigen durch Eisen vergewaltigt wurde. Da ich alleine war, war ich über diesen Umstand froh und ging so zum ersten Mal in meinem Leben eine „Ferrata“. Der Blick von oben zu Venediger und Zillertaler Alpen war sehr schön, aber den Nachmittag wollte ich ja noch fürs Zusehen bei den Strassenrennen der MCC nutzen.

Also hinab und unten am Zeltplatz aufs Rad, um wieder nach St. Johann zu radeln. Dort kam ich gerade rechtzeitig, um Wolfgang Benndorf noch beim Start aufmunternd zuzurufen. Er wird es in seiner Konzentration vielleicht gar nicht bemerkt haben. In 10-min-Abständen ging ein Feld nach dem anderen auf die Reise, wobei die höheren Altersklassen nur eine Runde mit insges. 40 km zu absolvieren hatten. Als Wolfgangs Gruppe wieder ankam, knallte es ca. 600 m vor dem Ziel in einer langgezogenen Kurve ganz fürchterlich und etwa 15 Fahrer gingen zu Boden. Als die 18 nicht gestürzten Fahrer ohne Wolfgang zum Sprint vorbeirauschten, war klar, dass er in den Sturz verwickelt war. An aussichtsreicher 6. Position um die Kurve fahrend war er sich schon gewiss, ein sehr schönes Ergebnis einfahren zu können, doch der an Position 3 oder 4 liegende Fahrer hängte sich wohl an einem Hinterrad auf und stürzte, so dass sich trotz einer breiten Straße in der Feldspitze der Sturz ereignete. Sehr schade für Wolfgang, der seiner Platzierungschancen beraubt war, aber zum Glück nahezu unversehrt blieb.

Abends wieder zurück beim Zelt setzte der angekündigte Starkregen ein und sollte für die kommenden 28 Stunden keine Pause mehr machen … das Zelt hielt zumindest mittelprächtig dicht, aber etwas klamm werden Klamotten und Schlafsack dennoch.


Freitag – arme Schweine
Ganze 8°C und pausenloser Regen. Ich positionierte mich als Zuschauer an der Huberhöhe und war über Regenklamotte und schwere Bergstiefel mehr als froh, während sich die Senioren- und Damenfelder den Hang empormühten. Da keine Beteiligung aus direktem Speiche- und RRL-Umfeld dabei war, gibt es hiervon auch nichts Personifiziertes zu berichten. Ich beneidete keinen der Fahrer, die an diesem Tag ihr Straßenrennen austrugen. Manche Fahrer zitterten wohl schon am Start stehend wie Espenlaub …
Ich konnte nur auf eine Wetterberuhigung für meinen Renntag hoffen. Abends zurück am Zelt wurde tatsächlich der Regen schwächer und hörte in der Nacht dann endlich auf.

Samstag – das Straßenrennen
Da man mit Anbruch der Dunkelheit schon in den Schlafsack kriecht, ist eine Zeltnacht auch mit dem Sonnenaufgang schon früh wieder vorbei. Das vor-Frühstück um 7 Uhr, dann wurde in aller Ruhe das Programm abgespult mit Einkauf, Abbruch des Zeltes, Einpacken, Fahrt nach St. Johann und Startnummernabholung, dann das „echte Frühstück“ 2,5 Stunden vor dem Start, nochmals Ruhe und dann das Fahrrad zurechtmachen mit Renn-LRS. Alles schien friedlich und in gemächlich-konzentriertem Zeittakt abzulaufen … bis ich das Hinterrad durchdrehte und einen fetzigen Seitenschlag sah. Beim letzten Rennen hatte sich wohl eine Speiche komplett und eine weitere halb gelöst. Zwar hatte ich einen mittelfesten Schraubensicherungskleber schon mal vorsorglich gekauft gehabt und auch dabei, aber das Hinterrad 2 Stunden vor dem Start auszuspeichen, mit Schraubensicherung zu versehen und wieder einzurichten war eigentlich nicht mein Plan. Es half ja nichts, also arbeitete ich mich durch die Speichen durch, bis alle neue Haftung hatten und wieder auf Spannung gebracht waren. Kurzes Nachzentrieren, umziehen und schon ging es los in die Aufwärmrunde. Mit dem Zeitfahranzug und darunter einem Thermoshirt war mir trotz Winterhandschuhen kalt. Also beschloss ich, unter dem Anzug noch Armlinge zu nutzen, was dann bei zwar kühlen (ca. 12-14°C) aber immerhin trockenen Wetterbedingungen perfekt passte. Während der Proberunde war das Hinterrad stabil geblieben, also würde es wohl auch im Rennen halten.

Am Start standen dann nur knapp 40 Fahrer aus allen möglichen Ecken der Welt, dabei aber relativ wenige Deutsche. Über die Anfahrt in Richtung des ersten Huberhöhe-Anstiegs werkelte ich mich vor in die 2. Position, um vor Scharmützeln halbwegs sicher zu sein. In der ersten Welle ließ ich mich aber dummerweise rechts einmauern und tatsächlich drohte man, bergauf zu stürzen. Also orientierte ich mich erst links aus dem Gedränge heraus und wieder vor zur Spitze, an der ein russischer Fahrer (Medov) die Pace machte. Noch ging alles sehr verhalten zu Werk und erst oben angekommen gingen Attacken los, die das Rennen über die folgenden 1,5 Stunden prägen und zu einem einzigen Gerupfe machen sollten. Beim Anstieg in Schwendt setzte ich mal eine Verschärfung, um eine Feldlängung zu erzeugen, die durch eine zweite Attacke zur Abtrennung einer Spitzengruppe hätte führen können, aber es fand sich niemand, der meine Gedanken so lesen und umsetzen wollte. Ich weiß nicht mehr, wie viele Attacken ich bis dahin und in der Folge mitging und verlängerte oder wie viele Löcher ich zufuhr, klar war aber, dass bei dieser Fahrweise keine erfolgreiche Bildung einer Spitzengruppe resultieren würde, zumal mein favorisierter Fluchtpartner, der Sieger des Einzelzeitfahrens Nielsen zwar mehrfach Verschärfungen lancierte, aber offensichtlich nur alleine oder mit anderen Kollegen wegkommen wollte, denn er investierte in Duos oder Trios mit mir kein einziges Körnchen mehr, so dass das Feld jedes Mal rasch wieder herankam. Die 2. Huberhöhe nahm ich von vorn, um rasch genug auf Angriffe von Bergspezialisten reagieren zu können. Die ca. 30-50 s langen Stüfchen immer mit 500 Watt erklimmend blieb es aber auch hier brav, man liess mich in der Spitze rackern, und Attacken folgten wiederum im Flachen oder gar auf der Abfahrt.

Als es bis km 60 immer noch nicht besser lief, begann für mich die zweite Rennphase. Ich konnte die Gelegenheit eines wieder eingefangenen Fluchtversuches nutzen, mich ohne größeren Beschleunigungsaufwand ein wenig nach vorn zu lösen. Die anderen Fahrer dachten wohl: „lasst ihn mal vorn alleine verrecken“. Um mich nicht auf dem Präsentierteller liegend leerzufahren, zog ich das Tempo weiter an, um möglichst rasch eine Lücke zum Feld aufzutun, die dann nicht mehr einfach zu überspringen wäre. Daraus wurde eine solo-Intervall von 8 km Länge bei Tempo 44. Nun musste auch das Feld irgendwie reagieren. Es reagierte offensichtlich mit einem Zerplatzen, denn zurückblickend eilte zu meinem Glück nur noch eine Vierergruppe kreiselnd hinter mir her, dahinter mit etwas Abstand nochmals 2 Fahrer. Fein, dachte ich, denn alleine über die restlichen 50 km ein solches Tempo hinzulegen, hätte meine Möglichkeiten weit überschritten. Also regelte etwas herunter, um das Quartett herankommen zu lassen und beim Auflaufen nicht total ausgepumpt zu sein. So konnte ich mich gleich produktiv in den Kreisel einbringen und die zwei Nachfolgenden fielen dann nach und nach weiter zurück.

Nun begann die dritte Rennphase. Der 5er-Kreisel brummte herrlich, wobei der Russe Medov das höchste Grundtempo brachte. Die zwei nachfahrenden Fahrer hatten irgendwann aufgegeben und das Feld war ausser Sichtweite. Die Hügel hoch zog der Engländer Harrison als schlank gebauter Fahrer stark hoch, erzeugte aber zu meinem Glück kaum ruckartige Tempowechsel, so dass ich an seinem Hinterrad vergleichsweise problemlos über Huberhöhe und Schwendt hinüberkam. Ein Fahrer des Quintetts konnte in Schwendt den Anschluss nicht halten, so dass wir für die letzten 30 km auf vier Fahrer dezimiert wurden. Dennoch kreiselten wir sehr schön weiter, erstaunlicherweise ohne jegliches Geplänkel bis 1,5 km vor dem Ziel. In der Zwischenzeit konnte ich natürlich gut die Mitfahrer beobachten, um eine Strategie für das Finale zu erdenken. Bei km 2 vor dem Ziel wechselte ich noch meine Position im Quartett, da der bis dahin vor mir fahrende Spanier Gancedo für meinen Geschmack immer etwas zu viel Lücke zum Vorausfahrenden ließ und ich im Fall einer Attacke des Russen oder des Engländers, die ich am stärksten einschätzte, nicht auch noch hinter dieser Lücke hängen wollte. Ich wählte das Hinterrad des Engländers Harrison und hatte den Lückenlasser somit hinter mir.

Die Anfahrt zum Ziel gestaltet sich S-förmig mit einer Linksbiegung auf die Hauptstraße, die nach ca. 500 m in einem weiten Rechtsbogen wieder verlassen wird, um auf eine ca. 350 m lange Zielgerade zu gelangen. Mit der Linksbiegung hatten wir auf der Hauptstraße den Wind von vorn und ich begann das Geplänkel selber, indem ich die Führung nicht mehr vom Engländer übernahm. Er äugte zwar kurz, aber alle waren gedanklich wohl noch in der vor-Vorbereitung. Ich nutzte diesen Moment und zog kurz brüsk an. Umblickend staunte ich, dass niemand direkt an mein Hinterrad gesprungen war. Offensichtlich waren die Mitfahrer von dieser scheinbar zu frühen Attacke einen knappen km vor dem Ziel doch sehr überrascht. Also musste ich nun versuchen, alles auf eine Karte zu setzen, drückte weiter und sog mich um den elend langen Rechtsbogen hinein in den rettenden Mitwind, um gegen alle Schmerzsignale anarbeitend das Tempo möglichst weit und möglichst lange über der 50er-Marke halten zu können. Erst ca. 150 m vor dem Ziel wechselte die Angst, doch noch überrollt werden zu können, zur Gewissheit, dass die Konkurrenten den Sieg bereits abgeschrieben hatten und ihre Reserven nur noch für die Entscheidung um die Plätze nutzen würden. Es ist eine seltsame Gefühlsmischung, sich zwar physisch völlig verausgabt, aber in ungläubig-freudigem Zustand über die Ziellinie retten zu können. 6 Sekunden folgten die drei anderen, die nächsten Grüppchen folgten mit einer bzw. zwei Minuten Distanz.

Abends dann die Siegerehrung mit der Fanfare, der SloMo des Zieleinlaufs auf der Videoleinwand, dem viersprachigen Aufruf, dem Siegertrikot, der Medaille, dem schon geradezu obszön großen Topf, Fahnenaufzug, Nationalhymne – alles von der Orga extrem gut durchgestylt und eine gerade noch gelungene Mischung auf dem schmalen Grat zwischen großem Theater und Brimborium. Für die Veranstaltung als solche möchte man nur hoffen, dass die UCI sich wieder auf St. Johann rückbesinnt, denn andernfalls wird sich das Format bei sinkenden Teilnehmerzahlen kaum noch in dieser Weise halten lassen.

Ergebnisse und Links zu kommerziellen Bildanbietern mit entsprechenden Preview-Bildchen gibt es auf der Veranstaltungs-HP: http://www.masterswm.org/
Die „Fieberkurven“ in Strava:
EZF: http://app.strava.com/rides/20524384
Straßenrennen: http://app.strava.com/rides/20524944
Nachtrag: ein kurzer Videozusammenschnitt der Gesamtveranstaltung: http://www.youtube.com/watch?v=tik3X-JBnJ8&feature=plcp
Zuletzt geändert von mi67 am Fr 28. Dez 2012, 14:13, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Masters Cycling Classic 2012 in St. Johann

Beitrag von bergfloh » Di 4. Sep 2012, 09:10

Erfolg, Fahrweise, Leistungswerte, Schmerzresistenz... einfach nur krass :anbetung: :anbetung: :anbetung:

Glückwunsch :prost:

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