Westslawische Hügelkette

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Falcon
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Westslawische Hügelkette

Beitrag von Falcon » So 24. Feb 2013, 20:40

Anfahrt
Kaum zu glauben, aber die Hügelkette im ganz Nahen Osten habe ich mit dem Fahrrad noch so gut wie gar nicht befahren; insbesondere auf polnischer Seite. So stand das Ziel meiner diesjährigen Radtour (September 2012) schnell fest.
Die Anreise erfolgte problemlos mit den RE der Deutschen Bahn über DD zum Ausgangspunkt Zittau im berühmten Dreiländereck. Dort stand zunächst die erste Übernachtung auf dem Plan, um am nächsten Morgen frisch gestärkt loszufahren. Das Hotel Riedel, sich selbst als besonders fahrradfreundlich angepriesen, ward flugs gebucht. Außer einem abgeschlossenen Abstellraum fürs Rad bot sich mir kein weiterer besonderer Vorteil (das Angebot für ein Leihfahrrad musste ich zum Glück nicht wahrnehmen).
Da ich einen nagelneuen Sattel montiert hatte (sonst blieb alles beim alten - never change a running system), nahm ich sicherheitshalber den alten noch mit, man weiß ja nie...
Abends stellte ich zu allem Unglück noch fest, dass meine Kamera nicht wirklich funktionierte. Manchmal bekam ich für ein paar Sekunden eine Anzeige auf den Monitor, aber ein Foto wollte nicht glücken. Und das, obwohl ich die Akkus frisch aufgeladen hatte und die funktionierten einwandfrei in der BuM-Lampe. Sorgenvoll bettete ich mich: Keine Fotos = kein Urlaub!
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Cyklopas

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Re: Westslawische Hügelkette

Beitrag von Falcon » So 24. Feb 2013, 20:48

1. Tag Isergebirge und Blick zum Riesengebirge
Mein erster Gedanke galt der Kamera: einfach mal probieren, Batterien reinschieben. Der kurze Ausflug in ein Geschäft einer Drogeriekette brachte mir unendliche Erleichterung: mit Batterien der Größe AA funktioniert das Gerät einwandfrei. Blöde Kameratechnik!
Zittau präsentiert sich in der Morgensonne mit einer schmuck renovierten Altstadt (zumindest bis auf ein paar Ruinen in den Nebengassen...).
So, dann geht es jetzt hier los.
Bald rollte ich über die kaum sichtbare erste („Oder-Neiße Friedensgrenze“) und kurz darauf über die zweite Grenze. Wenigstens hier hat man sich bemüht, den Reisenden mit Schildern hinzuweisen, in welchem Land er sich gerade befindet.
Vergnügt rollerte ich bei blauem Himmel / Sonnenschein über die ersten Hügel durch nordböhmische Dörfer dem Isergebirge entgegen. Die Durchquerung des Isergebirges war auf der von mir eingeschlagenen Route dann doch relativ enttäuschend einfach, hatte mir da etwas mehr vorgestellt. Immerhin bot sich mir ein interessantes Wolkenspiel über einem kleinen Stausee.
Auf der anderen Seite des Isergebirge radelte ich zunächst über ein paar Kilometer ausgeleierte, buckelige Asphaltpiste; es sollte eine Einstimmung auf die nächsten Tage sein. In Hajniště bot sich ein schöner Blick auf den nahen Smrk (Tafelfichte), im Hintergrund lugt der Stog Izerski (Heufuder) hervor und ich legte eine kleine Gedenkminute an die Besteigung durch unerschrockene RRL-Fahrer ein :anbetung: .
Über ein vergessenen Grenzübergang fuhr ich auf polnischer Seite weiter. Im ersten größeren Ort Swieradow Zdroj (Bad Flinsberg) tummelten sich allerlei kurende Touristen im renovierten und gestriegelten Kurgelände. Ich zog die ersten Złoty aus einem geizigen Bankomaten, der mir nicht allzu viel geben wollte, aber ich war wenigsten flüssig.
Im Schatten des Hohen Iserkamms ging es nun beständig aber in gemäßigten Steigungsprozenten bergauf. Auf knapp 800 m war das Ende erreicht und es bot sich hinter einer scharfen Rechtskurve ein herrlicher Ausblick auf Szklarska Poreba (Schreiberhau) und den Kamm des Riesengebirges. Nach einer gemütlichen Pause ließ ich mich in den bekannten Ort herabkullern, der vor Touristen überquoll. Ich zog es deshalb vor, noch ein paar km weiter bergab zu rollen und mir in Piechowice eine Übernachtung zu suchen. Dort fand ich auf Anhieb etwas Passendes: eine kleine schiefe ehemalige Bauernhütte war als Pizzeria mit Übernachtungsmöglichkeit ausgeschrieben, was will man mehr?!?! Ich bekam die gesamte Ferienwohnung in der ersten Etage für mich. „Nimm Dein Rad einfach mit nach oben, hier vor der Tür ist es nicht sicher“ sagte der freundliche Hüttenbesitzer, was ich mir nicht zwei Mal sagen ließ. Abends gab es dann eine leckere Pizza in der urgemütlichen Bauernstube.

Die Strecke:
http://www.gpsies.com/map.do?fileId=dhbdlbrhcpsjsixg
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Da grinst der Smiley
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Der Wächter der Region
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Isergebirge
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im Hintergrund etwas verschüchtert der Heufuder
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Riesengebirge
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Radfahrer Willkommen

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Re: Westslawische Hügelkette

Beitrag von Falcon » So 24. Feb 2013, 20:55

2. Tag Berge, Berge...
Zum Frühstück musste heute das Angebot aus dem Supermarkt herhalten, da der Service in meiner Hütte beschränkt war. Zunächst fuhr ich am Nordrand des Riesengebirges, dessen heute Vormittag leider in den Wolken steckten, weiter. Aber es blieb immerhin trocken. Hinter Kowary wartete ein recht langer Anstieg zwischen Leuschnerberg des Landshuter Kamms und Ochsenberg im Riesengebirge. Von dort hatte man einen hübschen Ausblick gen Osten und ich sah in dieser meiner Fahrtrichtung: nur noch Berge. Ich schraubte mich noch bis auf knapp 800 m hoch, Wald umschloss mich und ich ließ mich im Forst Schmiedeberg wieder herunterfallen. Es wurde etwas einsam: Klatka, Jarkowice, Miszkowice. Ab und zu bellte ein Dorfhund, die Straße ward buckeliger Asphalt. In Bukowka bot eine lokale Radlerin etwas Abwechslung, die ich vor mir herfahren ließ ;) . In Lubawka lud ein Supermarkt zur Mittagspause und ich las auf meiner Karte die Namen der mich umgebenden Mini-Gebirgen (die noch nie ein Mensch zuvor mit dem Rad durchquert hat...): Liebauer Tor, Überschaargebirge, Rabengebirge. Hinter Liebau gab es einen schönen Blick zurück auf die mittlerweile im Sonnenschein glänzende Schneekoppe. Weiter ging es durch's Schömberger Gebirge. Hinter Chełmsko Ślaskie zog eine wunderbar einsame Straße, die hier zeitweilig die Grenze bildete, herrlich bergan und bot einen schönen Ausblick zurück gen Westen. Weiter ging es mit einem Abstecher durch tschechisches Gebiet. Das Braunauer Ländchen (oje, der Name gaukelt einem schon so eine großmütterliche Idylle aus der guten alten Zeit vor), ein weiter Talkessel begrenzt vom Falkengebirge und Ausläufern des Waldenburger Gebirges ward schnell durchquert; ging meist nur leicht bergab. Wieder auf polnischer Seite, stand ein harter Kurswechsel gen Süden an: Aus dem kleinen Tal der zugegebenermaßen Šcinawka erwartete mich ein kleiner, richtig mieser Anstieg. Mit offiziell angekündigten 10% ward es die Untertreibung des Tages! Ich musste alle Kräfte zusammennehmen, um in den zwei Rampen nicht abzusteigen. Aua! Das ziehen in den Waden und die schnell am Himmel entlangziehenden dunklen Wolken brachen für heute meinen Kampfgeist und ich suchte in Radkow eine Unterkunft. Ich fand in diesem Städtchen nichts anderes als ein Hotel am besten Platz: am Marktplatz. Von außen grau und mit leicht abbröckelndem Putz, aber innen ein bemerkenswerter, stattlicher Bau, der in den zwanziger/dreißiger Jahren mal so richtig schick gewesen sein muss. Heute ist etwas morbider Charme übrig geblieben. Ein älterer Herr nahm sich meiner freundlich an. Das Fahrrad, tja, hier kein Platz, da kein Platz, na dann könne ich das doch gleich mit auf's Zimmer nehmen. Ich müsse außerdem verstehen, dass heute hier eine Hochzeit gefeiert wird und da müsse ich zeitig essen bevor die Party losgeht und vielleicht wird es nachts noch etwas laut. Mir war das alles egal. Vom Hotelzimmer sah ich noch auf dem Marktplatz: Der Bräutigam musste als Beweis, dass er seine Braut verdient hat, im Frack ein Feuer löschen.

Die Strecke:
http://www.gpsies.com/map.do?fileId=wpumsokohuatnawk
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2 Riesengebirge - Kamm in den Wolken.jpg
Kamm des Riesengebirges in den Wolken
2 Ausblick nichts als Berge.jpg
nur Hügel und Berge liegen vor mir...
2 Großer Heuscheuer.jpg
Großer Heuscheuer
2 Rübezahl.jpg
Rübezahl? Der Schutzpatron von Radkow?

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Re: Westslawische Hügelkette

Beitrag von Falcon » So 24. Feb 2013, 21:03

3. Tag Etwas Wandern
Frohgemut entsorgte ich erst mal den alten Sattel, da mir der neue die letzten zwei Tage keine Probleme bereitete; und etwas Ballast abwerfen ist immer gut.
Von Radkow sah ich ihn schon: den Großen Heuscheuer. Ein weithin sichtbarer, ziemlich großer Tafelberg. Dort will ich heute hoch! Hinter Radkow tauchte ich mit der Straße in dichten Wald ein. Es ging gemäßigt aber beständig bergan, kaum ein Auto zerstörte die sonntägliche Ruhe. Seltsame Felsen standen wie verwunschene Figuren im Wald. Oben auf einer Hochebene angekommen ließ ich mein Fahrrad in Karłow angekettet stehen und machte mich per Pedes auf den Weg, den Großen Heuscheuer zu besteigen. Für Auf- und Abstieg ward mit allerlei Fördermitteln ein breiter Wanderweg, man kann schon sagen, eine Touristenautobahn mit Treppen, ausgebaut. Oben bot sich dagegen ein Rundweg in einem noch urwüchsiges Bild: eine kleine Sächsische Schweiz, alles Sandstein, in seltsamen Formen verwitterte Felsen, wild bewachsen. Und eine tolle Aussicht aus ca. 900 m Höhe in alle Himmelsrichtungen! Leider zogen wahre Horden von Touristen über diesen Rundweg. Ich musste meist dazwischen mit schwimmen, vorbeigehen ging bei den engen Wegen einfach nicht; Stau. Trotzdem ein empfehlenswertes Erlebnis!
Mit dem Rad ließ ich mich in den alten Kurort Kudowa Zdroj herabfallen. Viel wollte ich heute nicht mehr fahren und so genoss ich Kaffee und Kuchen in einem Straßencafé und schaute dem Treiben auf der Straße zu. Ein Stückchen ging es heute noch weiter. Hinter dem Kurort musste ich noch mal bergan und oben angekommen ließ ich mich am Wegesrand auf eine Wiese fallen und blickte unter der warmen Spätsommersonne auf den Beginn der morgigen Etappe: Das Habelschwerdter / Adlergebirge.
Dusniki Zdroj war das heutige Ziel und Matteo Pension 24h grüßte schon mit großer Leuchtreklame. Die Bude war topmodern eingerichtet und verhältnismäßig teuer. Egal, ich hatte keine Lust, weiter herumzusuchen. Tja, das Fahrrad, wohin denn damit, der Chef kommt gleich und den müssen wir fragen... Ah ja, in der Behindertentoilette ist noch Platz – :D . Dusniki Zdroj glänzt mit einem sehr schön sanierten, kleinen Marktplatz. Dann bestaunte ich den Sonnenuntergang direkt vom Zimmerfenster aus und dann :schnarch: !

Die Strecke:
http://www.gpsies.com/map.do?fileId=idvrkyeankypmnat
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3 im Land der großen Pilze.jpg
im Land der großen Pilze
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Wohlgeordneter Auf- und Abstieg - der Weg wurde ja auch mit deutschen Mitteln finanziert ;-)
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Ausblick 1
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Ausblick 2
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Affenkopf
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eng

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Re: Westslawische Hügelkette

Beitrag von Falcon » So 24. Feb 2013, 21:10

4. Tag Drei Gebirge
Drei längere Anstiege habe ich heute auf dem Plan. Von Dusniki Zdroj geht es erst recht holperig los, was den Straßenbelag und meine fehlende Ortskenntnis betrifft. Bald befinde ich mich aber auf der richtigen Straße, die mich auf allerfeinstem Asphalt in einem ruhigen Tal hoch in das erste Gebirge führt. Auf tschechischer Seite Adlergebirge, auf polnischer Seite Habelschwerdter Gebrige genannt und durch die „Weiße Adler“ als Grenzflüsschen in einem Hochtal getrennt. Kaum ein Auto stört die früh-herbstliche Ruhe und ich gleite frohgemut dahin. In Mostowice verabschiede ich mich von dem stillen Hochtal und leider auch von der guten Straßenqualität. Es wird rumpelig. Die nächsten Kilometer werden als „Sudetenstraße“ mit herrlichem Ausblick ausgewiesen. Na ja, einen Ausblick habe ich durch den Wald nur selten und die Straße ist eine grottige Piste, deren Straßendecke zur Hälfte weggebrochen ist und überall liegen die Bruchstücke verteilt. Die Natur hat hier über die Jahre ganze Arbeit geleistet. Aber die Sonne scheint und ich lasse mich nicht stressen!
Ich lasse mich durch Poreba aus dem ersten Gebirge herabfallen und fahre durch Bystrzyca Kłodzka dem nächsten Anstieg entgegen. Der zieht sich für mich unerwartet und gewaltig in die Länge und der Höhenmesser bleibt erst bei ca. 900 m stehen. Durchschnaufen. Ausblick genießen. Am Beginn der Abfahrt befand ich mich in einer Serpentinkurve, als mir aus dem Gebüsch, praktisch aus dem Nichts, plötzlich ein Hund wütend bellend hinterherhetzte. Ich hab das Vieh gar nicht weiter gesehen, ich trat noch etwas in die Pedale, das Gefälle tat sein übriges und der Köter gab zum Glück schnell auf. In der Abfahrt lag der Ort Sienna (!) in dem gebaut wurde, als sollten die nächsten Weltmeisterschaften im Wintersport stattfinden. Stronie Ślanskie bot mit seinem Supermarkt eine gute Rastmöglichkeit in der warmen Nachmittagssonne: Auftanken für den letzten Berg des Tages. Die Straße aus dem Ort heraus wurde gerade total umgebaut und so musste ich 'nen Kilometer schieben. Das Schneegebirge baute sich jetzt deutlich vor mir auf. Wieder eine schöne, einsame Straße mitten durch Wald mit mäßigen Steigungsprozenten und etlichen Schlaglöchern. Oben auf dem Pass wieder mal eine total verlassene Grenzstation und sofort gab es auf tschechischer Seite feinsten Asphalt und eine breite Piste. Für diese einsame Gegend eigentlich zu viel des Guten, aber die EU-Mittel wollen ja ausgegeben sein und mich hat's ja auch gefreut. Schon etwas abgekämpft ließ ich mich in der lange Abfahrt herabkullern. In dem Ort Hanušovice fand ich eine sehr schöne Unterkunft: ein top saniertes Brauhaus, wahrscheinlich mit direkter Leitung zur wenige Meter entfernt angesiedelten Bierbrauerei „Holba“: http://www.holba.cz/de/produkte/ Das Abendessen ward ein feines Schweinefilet, wie ich es zarter noch nie gegessen hab, das natürlich von dem ebenfalls wohlschmeckenden lokalen Gesöff in meinen Magen begleitet wurde.

Die Strecke:
http://www.gpsies.com/map.do?fileId=mpochnhnzwthxqrj
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Adlergebirge
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Attacke
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Loch an Loch
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Herbststimmung
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lost place

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Re: Westslawische Hügelkette

Beitrag von Falcon » So 24. Feb 2013, 21:18

5. Tag Durchs Altvatergebirge
Der kulinarische Genuss des Vorabends hatte die Messlatte für das Frühstück nach oben geschraubt. Gespannt wartete ich, was mir wohl aufgetischt wird, aber entsprechend enttäuscht blickte ich auf den Teller, der mir vorgesetzt wurde: zwei Bockwürste mit Senf und Meerrettich lagen da drauf und es gab noch ein paar Scheiben Brot. Dazu gab es den fast unvermeidlichen Schwarzen Tee mit Zitrone und Zucker. Na egal, heute soll es durch das Altvatergebirge gehen und ich schluckte alles (außer dem Meerrettich) hinunter und betrachtete es als rustikale lokale Spezialität.
Ja, das Altvatergebirge - das Höhenprofil sieht entsprechend sägezahnartig aus.
Die ersten Kilometer ging es gemächlich im Tal der Branna bergan, bevor es in Nove Losiny rechts ab und damit ordentlich zur Sache ging. Auf der ersten Passhöhe des Tages zogen die Wolken in geringer Höhe vorbei, es ward ungemütlich. Nach der Abfahrt in Rejhotice bog ich auf die 44 ein, die mich über den nächsten Pass führen soll. Meine Karte sagte mir, dass es eine stärker befahrene Straße sein soll, aber der Verkehr hielt sich zum Glück in Grenzen. In 9 Serpentinen windet sich die Straße hinauf zum Roter-Berg Sattel, aber alles mit moderater Steigung und auf breiter Piste, also alles machbar. Nur die Länge ward der herausfordernde Moment. Auf dem Sattel flogen dann wieder tief hängende Wolken vorbei und es wehte eine kühle Brise. Nach der Abfahrt bog ich in Horni Domašov nach rechts dem nächsten Anstieg entgegen. Hier auf der anderen Seite ward ich wieder im wärmenden Sonnenschein - der Gebirgskamm riss die Wolken entzwei und bot heute für mich eine nützliche Wetterscheide.Wieder ging es durch Wald der 1000 m Höhenmarke entgegen. Die Anstrengung war zu spüren. Oben angekommen legte ich mich erst mal eine Weile in die Nachmittagssonne. Nach einer kurzen Abfahrt entschied ich mich spontan in Vidly (nicht mehr als ein paar Häuser) doch noch einen Hügel einzulegen. Der Sonnenschein verleitete mich zu einem weiteren Anstieg. Noch mehr Wald, wieder wenig Verkehr, wieder ging es nach oben und als ich endlich angekommen, konnte ich noch mal die 1000 Meter Marke reißen. Eine alter Stein als Wegmarkierung mit deutscher Inschrift, die halb weggemeißelt war, belegte dies. Ich merkte, dass meine Beine genug für heute getan hatten und so kullerte ich nur noch bergab und suchte mir in Vrbno eine Unterkunft. Dort empfahl man mir in der Touri-Info ein Gasthaus am Rande des Ortes. Dahin musste noch der letzte, kurze, miese, steile Anstieg überwunden werden, der mir für heute den Rest gab. Dafür konnte ich ein großes Zimmer im Dachgeschoss in Beschlag nehmen, mit weitem Blick über das Tal. Die Ausstattung der Räume war bemerkenswert auf dem Stand der 80-er Jahre stehen geblieben. Wer kennt nicht noch das kleine Mädchen, das auf dem Topf sitzt, geformt aus weißem Plaste auf schwarzem Oval, das einem Gast das stille Örtchen anzeigt.

Die Strecke:
http://www.gpsies.com/map.do?fileId=gadlftxnhwbvfejq
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5 herausgemeißelter Ort.jpg
Name gelöscht
5 wie weit noch.jpg
Service für Radfahrer im Altvatergebirge: noch 500 m bis oben
5 Altvatergebirge.jpg
Altvatergebirge
5 Roter Berg Sattel.jpg
Roter Berg Sattel
5 weite Serpentine.jpg
weite Serpentine zum Roten Berg Sattel
5 oben.jpg
erster "Gipfel" - Wind und tiefe Wolken
5 traditionelle lokale Bauweise.jpg
traditionelle lokale Bauweise

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Re: Westslawische Hügelkette

Beitrag von Falcon » So 24. Feb 2013, 21:24

6. Tag :regen:
Die Sonne scheint mir beim Aufgang golden ins Gesicht. Na, so schlecht wie im Wetterbericht wird das Wetter wohl doch nicht werden...
Ich breche auf, um aus den Ausläufern des Altvatergebirges zu rollen. Nach 2 km fängt es leise an zu tröpfeln. Nach 15 km muss ich in meine Regenklamotten steigen und alles dicht machen. Nach weiteren 10 km peitscht mir der Regen derart in's Gesicht, dass ich anhalten muss. Ein Bushaltestellenhäuschen dient mir kurz als Unterschlupf. Die Wolken am Himmel hängen tief und strukturlos grau. Angesichts meiner heutigen Streckenplanung von 120 km eine ziemlich deprimierende Aussicht. Nach weiteren 20 km flüchte ich in eine Tankstelle und wärme mich an einem Becher heißem Kakao. Ich starre in den Regen. Ein Autofahrer kippt sich einen guten Schluck Diesel über die Hose. Der Automat spinnt beim Versuch, einen zweiten Becher des wärmenden, süßen Gesöffs zu entlocken und verweigert mir auf das 5 Kronen Stück eine Gegenleistung. Auch das zweite Geldstück verschwindet folgenlos in dem unwilligen Apparat. Die Bedienung hat aber ein Herz und mit ein paar Brocken tschechisch und ein paar Gesten hilft sie mir und das Gerät wird wieder in Gang gesetzt und ich entschädigt. Es regnet weiter. Der Gedanke, dass ich die nächsten 5 km wenigstens Rückenwind habe, hilft mir wieder aufs Rad. Ich durchfahre eine wellige Landschaft im Landregen, meist mit Seitenwind: Welle hoch, Welle runter, Welle hoch, Welle runter... Hier gibt es nichts zu sehen und so bin ich eigentlich froh, für diesen Tag das schlechte Wetter abgepasst zu haben. In Raciborz besuche ich vor Nässe triefend eine weitere Tankstelle. Ungesundes aber warmes Fast Food und ein großer Becher Kaffee flößen mir neuen Kampfgeist ein. Das Ziel ist ein ganzes Stück näher gerückt und weit und breit kein Berg in Sicht, der meine Reisegeschwindigkeit senken will. Hinter Raziborz hört es sogar langsam auf mit dem Regen. Ich lasse mich vom Fahrtwind trocknen, nur die blöden Autos spritzen mich manchmal wieder voll – egal, ich bekomme gute Laune! Ein großes Waldstück kann ich rasch durchfahren und schon beginnen die Vororte von Gleiwitz. Hier muss ich kurz anhalten und meine vollkommen verdreckte Vorderbremse neu justieren. Die Bremsklötze hatten sich irgendwie gelockert, hingen total schief an der Bremszange, waren demzufolge schräg abgenutzt und kurz davor, mit dem Metall auf den Felgen herumzukratzen. Na gut, bis in die City konnte ich noch fahren. Gleitwitz war an diesem Abend so ziemlich ausgebucht, wie man mir am ersten Hotel versicherte, aber ich bekam die Wegbeschreibung zum einzigen Hotel, das noch Zimmer frei hatte und fand dann unterwegs auf der Suche nach einer Herberge einen Radladen, der mir für wenig Geld einen Satz neue Bremsen überließ. Das Hotel, von außen ganz passabel, hatte innen den Charme eines Arbeiterwohnheimes. Im Hotelrestaurant bekam ich auf die Frage, was denn die Küche so bietet, barsch die Antwort: “Schnitzel und Pommes!“. Ok, dann will ich heut mal nicht wählerisch sein...

Die Strecke:
http://www.gpsies.com/map.do?fileId=mvarejclsddvxrhn
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6 Morgenröte.jpg
Morgenröte
6 für Rudy.jpg
für Rudy

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Re: Westslawische Hügelkette

Beitrag von Falcon » So 24. Feb 2013, 21:29

7. Tag Gleiwitz
Heute ist Ruhetag und ich schaue mich in der Großstadt um. Ein Höhepunkt ist natürlich der Sender Gleiwitz, der historisch eine traurige Berühmtheit erlangte. Ich sehe mir erst mal das Geländer an und der Sendeturm ist sehr beeindruckend - es soll mit 111 m die höchste Holzkonstruktion der Welt sein. In den ehemaligen Senderäumen soll ein Museum sein. Ich begehre Einlass und muss klingeln: ein kleiner Mann, im Aussehen Walter Ulbricht ohne Brille recht ähnlich, öffnet. Oh, ich soll mein Rad gleich mit reinnehmen, da ist es sicherer. Ich bin offenbar der einzige Gast und werde umsorgt, als ob sich seit Wochen kein Besucher mehr hierher verirrt hat. Ich bekomme von Walter Ulbricht, der tadellos Englisch spricht und geschichtlich sehr bewandert ist, eine ausführliche Erklärung der Ereignisse vom Herbst 1939 nach dem letzten Stand der wissenschaftlichen Forschung. In den Räumen staune nicht schlecht: Fast die ganze Technik aus den dreißiger Jahren ist noch erhalten: Lautsprecher, Mikrofone, was weiß ich nicht alles, hergestellt von Siemens... Das ist Geschichte! Irgendwie auch ein bisschen gruselig, als ich noch den Film sehe, der in den Räumen die historischen Vorgänge nachstellt, wo ich gerade sitze...
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7 deutsche Technik.jpg
deutsche Sendetechnik
7 Geschichte.jpg
Geschichte
7 Lärche und Messing.jpg
Läche und Messing - sehr haltbar!
7 Sender Gleiwitz.jpg
der Sendeturm

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Re: Westslawische Hügelkette

Beitrag von Falcon » So 24. Feb 2013, 21:33

8. Tag Vom Kohlerevier zurück in die Berge
Raus aus der Großstadt, raus aus der weiten Talsenke, zurück in die frische Luft, zurück in die Berge!
Die ersten Kilometer sehe ich hier und da Kohlegruben, deren Türme weit sichtbar sind, hier am Rande des polnischen Ruhrpotts. Ansonsten sind es wenig aufregende Kilometer. Żory hat, wie so viele polnische Städte, einen schick herausgeputzten Marktplatz. Irgendwann komme ich auf eine Straße, die nach einer Autobahnabfahrt plötzlich stark befahren ist. Es sind gar nicht mal so viele Autos unterwegs, aber die LKW heizen an mir vorbei, dass ich Angst bekomme, beim nächsten mal umgemäht zu werden. Ich halte an, studiere meine Karte, die mir aber außer gräßlichen Umwegen mit ungewissen Straßenbelag nichts zu bieten hat. Da erscheint meine Erlösung in Form eines Treckers mit Anhänger, der stumpf in seinem Tempo dahinzuckelt. Und sein Tempo ist mein Tempo! Ich presche von hinten an, greife meine Chance und folge in seinem Windschatten locker mit so 27-30 km/h. Ich bekomme zwar eine gute Portion Ruß ab und der Lärm ist auch nicht zu verachten, aber egal, ich bin an dieser Position so sicher wie sonst nirgends auf dieser Straße! Ich hoffe, dass der Trecker eine Weile durchhält und so ist es auch. Es zieht mich bis zur nächsten sinnvollen Abzweigung und ich verlasse dankbar seinen Windschatten. Ich durchfahre eine hübsche, kleinteilige Landschaft mit Teichen, Fischzucht, Wäldchen und kleinen Dörfern. Und am Horizont tauchen endlich wieder Berge auf: die schlesischen Beskiden. Doch ich verfitze mich erst noch in dem Gewimmel von kleinen und kleinsten Straßen, es gibt kaum Hinweisschilder und es dauert etwas, bis ich wieder auf dem Kurs bin. Ein alter Mann, ebenfalls mit Rad und einem sehr merkwürdig geformten Lenker unterwegs, quatscht mich an. Wir verstehen zwar leider kaum mehr als drei Worte voneinander, aber er scheint von meiner Tour und der Ausrüstung begeistert zu sein. In Skozcow tanke ich im Supermarkt essbares für die letzten Kilometer für heute. In Ustron am Eingang des Gebirges, geht die Tourismusindustrie los. In Wisła ist sie schon sehr ausgebaut und es soll noch mehr werden. Ein polnisches Kitzbühel oder so was soll es werden. Ich verschwinde schnell aus dem Trubel des Zentrums und finde ein paar Kilometer weiter ein sehr gut ausgestattetes Hotel, dem fast alle Gäste fehlen.

Die Strecke:
http://www.gpsies.com/map.do?fileId=fgwrbleyeeqpuwww
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8 im Revier.jpg
im Revier
8 Idylle.jpg
idyllische Fischzucht
8 Berge in Sicht.jpg
Berge in Sicht

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Re: Westslawische Hügelkette

Beitrag von Falcon » So 24. Feb 2013, 21:40

9. Tag Schlesische Beskiden
Endlich wieder Berge unter den Rädern, hier zunächst die schlesischen Beskiden. Der erste Anstieg geht praktisch vom Hotel los und führt mich auf zunächst flacher, dann moderater Steigung und bestens präparierter Straße auf ca. 750 m nach Kubalonka. Ein schöner Blick auf die nächsten Höhenzüge belohnt die Anstrengung. Weiter geht es allerdings mit einer bösen Überraschung: kaum geht es bergab, ist die schöne Asphaltdecke weggehobelt und es geht auf einer buckelig-holperigen Piste bergab. Meine Bremsen glühen. Weiter unten kommt dann die Baustelle und da ich meine Reifen nicht mit heißem Asphalt verkleben will, laufe ich ein Stück. Von Istebna an geht es in mächtigen und teilweise steilen Rampen wieder nach oben. Ich weiß nicht, wer diesen Weg mal ursprünglich über diesen Kamm gelegt hat. Wer Rampen fahren üben will, kann das hier tun. Irgendwann denke ich, dass ich oben bin. Eine große Holzhütte wie in den Alpen markiert einen tollen Aussichtspunkt: ringsum nur Berge, ich bin mitten in den Beskiden und ich glaube im Hintergrund die weißen Gipfel der Hohen Tatra zu erkennen. Es zieht aber ganz schön hier oben und ich halte es nicht sehr lange aus. Die Straße windet sich steil nach unten und mündet in eine neu gebaute autobahnähnliche Straße. Für Radfahrer ist jedenfalls kein Platz. An der Mündung trifft zur gleichen Zeit ein alter Mann mit einem zerknautschten Gesicht ein, das muss wohl eine Kriegsverletzung oder ein Unfall gewesen sein. Er redet auf mich ein, doch ich verstehe leider mal wieder kein Wort. Aber er weist mir den Weg: hinter ein paar Büschen führt ein unscheinbarer Weg mit Lochplatten aus Beton (!) steil in die Tiefe. Ich überlege kurz: wenn das der falsche Weg sein sollte, komme ich hier nie wieder hoch (zumindest nicht im fahren)! Aber ich denke, dass ich keine Alternative habe und seile mich vorsichtig ab. Und siehe, mir kommt sogar ein Auto entgegengekeucht! Als ich das Ortsschild von Szare sehe weiß ich, dass ich richtig bin. Weiter geht es durch das oberer Tal der Soła, der Ujsoła und weiter hinauf, dem Höhenzug der Żywiecer Beskiden entgegen. Ich befürchte wieder schlechte Straßen, aber alles wurde aus EU Mitteln zur Verbesserung der Struktur von Grenzregionen aufs Beste saniert. Oben ist wieder eine verlassene Grenzstation und hier beginnt die Slowakei. Ich lasse mich aus de Höhe herunterrollen und genieße das schöne Wetter. Am Ufer des Stausees der Orava sehe ich nun deutlich die schneebedeckten Gipfel der Hohe Tatra. Ich kullere noch ein paar Kilometer und steige in einem Hotel am Marktplatz in Trstena ab.

Die Strecke:
http://www.gpsies.com/map.do?fileId=dyprzlwtalvgihfn
Dateianhänge
9 Holzkirche.jpg
Holzkirche
9 Straßendecke abgehobelt.jpg
Straßendecke abgehobelt; nein, die Menschen müssen hier nicht die Autos abstellen und weiterlaufen...
9 hoch und runter.jpg
auf und ab
9 Berge Berge.jpg
Berge, Berge...
9 im Hintergrund die Hohe Tatra.jpg
am Stausee der Orava, im Hintergrund die Hohe Tatra

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