9. Tag
6:30 Uhr, ich steige aus meinem Zelt und schaue überrascht direkt in das Heck von einem Kreuzfahrtschiff, dass ich ohne großen Lärm zu veranstalten, in der letzten Stunde hier in das Ende des Fjords herangeschlichen hat.
Heute habe ich ein großes Ziel vor, frühstücke ausgiebig und decke mich vor der Abfahrt in dem kleinen Supermarkt direkt am Zeltplatz gelegen mit allerlei Essbaren ein, da ich unterwegs voraussichtlich keine andere Möglichkeit haben werde. Als ich aus dem Geschäft wieder herauskomme, sehe ich drei Leute, die sich sehr interessiert mein Rad näher betrachten. Schon will ich ein paar deutliche klärende Worte sagen, aber dann merke ich, dass es auch nur Reiseradler sind. Wir kommen ins quatschen, wobei sich einer der Jungs nebenbei noch die Zähne putzt und sich zwischendurch ab und zu in den nächsten Gulli entleert. Die drei Jungs kommen aus England und sind von Genua (!) hierher geradelt
Den Abschnitt durch Deutschland fanden sie besonders toll, da sie eine flache Route (viel am Rhein entlang) stumpf gen Norden gewählt haben, deswegen sehr schnell vorangekommen sind und es war billig. Wie wahr! Berge mögen die drei nicht so, ich aber umso mehr. Mich haben sie sofort als Deutschen identifiziert, da meine Radtaschen so sauber sind
(Ortlieb fahren dagegen heute nicht mehr nur Deutsche).
Nun muss ich aber endlich aufbrechen, um aus dem engen Fjord wieder rauszukommen und es geht sofort ab Zeltplatz richtig zur Sache. Zuerst windet sich die Straße mit Serpentinen durch den Ort. Hier steht an einer besonders schönen Stelle am Hotel Bellevue, dass seinen Namen wirklich zu Recht trägt, eine Säule zu Ehren für Kaiser „Geirangerfreund“ Wilhlem II., der hier 11 Mal war. Der wusste offenbar auch, wo es besonders schön ist. Etwas später gibt es wieder Aussichtspunkte mit spektakulären Blick über den Ort und den Fjord. Mittlerweile sind auch etliche Reisebusse und Elektro-Leihwagen mit Touristen vom Schiff unterwegs und eben biegt das dritte Kreuzfahrtschiff des Tages um die Ecke. Weiter geht es und nach dem Ortsende wird der Anstieg erst mal deutlich flacher, bevor es in endlosen Serpentinen und moderaten Steigungsprozenten weiter nach oben geht. Den Fjord verliert man hier erst mal wieder aus den Augen. Ich fahre vor mich hin, freue mich des Berges und nach 700 Höhenmetern am Stück muss ich erst mal eine kurze Rast einschieben. Die Vegetation wird hier schon wieder karg; keine Bäume mehr. Und weiter geht es. Horden von Radfahrern kommen mir auf Mountinebikes entgegen. Die müssen wohl die Reiseveranstalter hier hochgeschafft haben. Auf ca. 1000 Metern wird es wieder deutlich flacher und Schneefelder sind auf den umliegenden Bergen zu sehen. Und dann kommt ein schöner, von Bergen umgebener großer See: Djupvatnet. Und hier gilt es eine Entscheidung zu treffen, die mir nicht allzu schwer fällt. Obwohl ich bei meinen Radtouren kein Freund des Befahrens von Stichstraßen bin, zieht es mich einfach noch weiter hinauf. Die Wolken sind zwar nicht mehr weit entfernt und deswegen ist nicht sicher, ob ich da oben überhaupt was sehen werde, aber wer weiß, wann ich jemals wieder hier stehen werde. Also biege ich in die Sackgasse zum Gipfel Dalsnibba ab. Das ist 'ne Mautstraße, aber Radfahrer haben freien Eintritt
Die Straße zieht sofort wieder deutlich an ich merke, dass ich bis hierhin schon ein paar Körner gelassen habe. Na ja, sind nur noch gute 400 hm am Stück, das werde ich auch noch schaffen, man muss sich das im Kopf nur passend zurechtrücken. Die Straße geht in mehr oder weniger engen Serpentinen recht gleichmäßig und mittlerweile unerbittlich bergan. Als nur noch knapp 100 hm übrig sind, muss ich auf Kampfmodus umschalten, Motivation ist jetzt alles. Da kann mich der einsetzende Nebel auch nicht mehr stören. Ich will jetzt da hoch!!! Hier oben ist es schon ziemlich frisch, aber ich fahre immer noch kurz/kurz und friere nicht. Und dann habe ich es geschafft: Dalsnibba, mit knapp 1500 Metern der höchstgelegene Aussichtspunkt auf einen Fjord in Europa, den man auf einer Straße erreichen kann. Ziemlich kaputt krabble ich vom Rad und stopfe Essen und Trinken gierig in mich rein. Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, dass momentan die Sichtweite durch die Wolken auf ca. 100 Meter beschränkt ist, aber da ich nicht weiß, was mir hier entgeht (das schaue ich mir erst zu Hause an), bin ich auch nicht so sehr enttäuscht. Ein paar redselige Damen aus der Schweiz sprechen mich an und überreden mich, dass sie von mir unbedingt ein „Gipfelfoto“ machen. Ich bin zu keinem Widerspruch fähig. Danach ziehe ich mir alle Klamotten an, die ich bei mir habe, denn die Abfahrt wird bei aktuell 8°C nicht gemütlich. Gerade kommen noch drei Reisebusse an und schütten allerlei Touristen aus und so wird Zeit, dass ich hier wieder verschwinde. Zunächst bergab bei schönen Ausblicken zurück zum Djupvatnet, wo ich in der Djupvasshytta ein Süßgebäck der Region (Name leider vergessen, eine Art Pfannkuchen mit viel Zucker und Butter) verspeise. Derart gestärkt geht es weiter durch die Gebirgslandschaft. Ich fahre an mehreren Seen entlang (Djupvatnet, Langvatnet, Breiddalsvatnet), durch ein sich aufweitendes und später sehr weites Tal ohne groß an Höhe zu verlieren.
Am Ende des Breidalsvatnet biege ich in eine alte Gebirgsstraße ein, Strynsfjellvägen. Das ist eine alte Verkehrsverbindung mit Naturbelag, der aber sehr gut in Schuss ist. Hier wird es ziemlich einsam und schön und immer wieder bricht die Sonne durch die Wolken. Es geht zunächst sehr moderat bergauf in einem weiten Tal. Die Stille wird nur durch Wasserrauschen, das von den zahlreichen Bächen hervorgerufen wird, unterbrochen, und ab und zu kommt ein Fahrzeug vorbei. Ich genieße diesen Weg mit seinen zahlreichen kleinen Windungen und die weite Sicht. Auf 1139 Metern erreiche ich die höchste Stelle und von hier aus geht es sanft wieder bergab. Nach ein paar Kilometern fängt an einer Skistation der Asphalt wieder an, und die Straße verliert immer schneller an Höhe. Die Abfahrt ist herrlich und dauert lange bis ich wieder ganz unten bin. Heute zwar nicht auf Meeresspiegelniveau an einem Fjord, aber auf nicht mal 100 Metern Höhe finde ich einen fast leeren Campingplatz und stelle mein Zelt in das große Rund mit den roten Holzhütten mit den weißen Fensterrahmen. Der Sonnenuntergang taucht die umliegenden Berggipfel für ein paar Minuten in rosarotes Licht.
Die Strecke:
http://www.gpsies.com/map.do?fileId=mndjdxccpfpmpoyd