Der Radler und das liebe Knie

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red nosed renntier
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Der Radler und das liebe Knie

Beitrag von red nosed renntier » Do 2. Nov 2006, 23:18

Ich war ja heut mit Peso unterwegs und der meinte, es gibt hier ne Reihe von Leuten wie mich mit Knieproblemen, und da wir Pfleger ja jetzt auch in beratender Form tätig sein sollen (ihr bekommt mich noch kostenlos ;D ), hier mal ein Versuch gesammelter Erkenntnisse übers Knieproblem. [Vorsicht! Lang]

Knieprobleme
Ursachen können vielfältig sein, meist ist es aber schlicht Überlastung aufgrund muskulärer Dysbalancen o. Fehlbelastung durch falsche Haltung, bzw. Führung des Gelenks o. durch dauerhaft überspannter Muskeln, weil fehlende Dehnung.
Natürlich kann auch immer eine Erkrankung des Gelenks vorliegen, die nichts mit Sport zu tun hat, also sollte man immer bei anhaltenden Beschwerden den Doc aufsuchen.
(hab ich aber nicht gemacht;-)

Ein Gelenk braucht einen Raum, der es begrenzt, eine Hülle die Stabilität gibt, die Kräfte überträgt, gebildet von Muskeln,Bändern und Sehnen. Wenn einzelne Muskeln zu schwach sind, müssen andere die Aufgabe übernehmen, werden dadurch evtl. überlastet. Teilweise funktioniert das Gelenk so nicht mehr optimal. Einer einfachen Dysbalance kann man schon sehr leicht begegnen, indem man wirklich rund tritt, und so seinen Beinbeugermuskel ordentlich einsetzt. Also öfters am Pedal ziehen.

Der Schneidermuskel, den wir beim Fahrradfahren gar nicht brauchen, der aber wichtig ist für die Gelenkführung, sollte bei Beschwerden bei denen kein anderer Grund gefunden werden kann, auf jedenfall zusätzlich trainiert werden.
Der Schneidermuskel heißt so, weil er den Schneidersitz verursacht, er zieht den Fuß zum Schritt. Geübt wird also seitlich liegend, und dann führt man das untere Bein gestreckt nach oben, zusätzlich kann man sich noch _kleine_ Gewichte an den Knöchel hängen, schwere Bergschuhe anziehen, oder ähnliches. Und weil es nicht schaden kann, trainieren wir die Muskeln auf der anderen Gelenkseite gleich mit, und führen das obere Bein genauso gestreckt nach oben.

Weiterhin hat man Überlastungen, die man praktisch selbst produziert, hierzu gehört eine falsche Sitzposition die man als allererstes überprüfen, variieren sollte. Manchmal kommts halt doch auf den Millimeter an.
hier empfehle ich den Fahrradpapst: http://www.smolik-velotech.de/glossar/s_SITZPOSITION.htm.
Ebenso kann durch eine Beinlängendifferenz (praktisch jeder Mensch hat das, nur in unterschiedlicher Stärke), die richtige Sitzposition solange unmöglich sein, bis man 2 unterschiedlich lange Kurbeln links und rechts besitzt. Also ab zum Physiotherapeut, oder Orthopäde, Beinlängendifferenz messen, und überlegen, ob man bei 1cm Unterschied nicht 0,5cm unterschiedliche Kurbellängen besorgt. Reicht ja die linke zu variieren.

Bei hohen Kadenzen werden Bewegungsabläufe oft unsauberer, wenn man das vermutet sollte man dahingehend üben. Ganz präzise die Bewegung des Gelenks kontrollieren, und dabei die Kadenz in der man so konzentriert ist, langsam steigern. Bzw. könnte auch hier der Tip, den man auch für die runder-Tritt-Übung empfiehlt, angebracht sein: einbeinig fahren.
Weiterhin kann man, wenn man die Clickies verdächtigt einen ungesunden Ablauf zu provozieren, einfach mal mit Haken und Riemen fahren und seine Füße beobachten, das Experiment ist mit eBucht 105er Pedalen recht billig.

Weiterhin kann man in die Überlastung kommen, weil man seine Muskeln nicht entspannt. Muskeln verkürzen sich durch Training. Also nach jedem Training unbedingt dehnen! Das kann man gar nicht oft genug sagen: dehnen! Wer eh Probleme hat, darf auch gerne mehrmals am Tag dehnen, auch ohne Training. (dabei aber nicht wie früher im Sport gelehrt, in den Schmerz hinein dehnen). Anleitung s.u.

Am Ende nenn ich mal noch das was ich immer mal hab, und was kursiert: Patellaspitzensyndrom
Ist eine degenerative, also eine gewebsschädigende, Erkrankung der Sehne, hervorgerufen durch reine Überlastung. Daher auch der Zweitname "Jumpers Knee".
http://www.dr-gumpert.de/html/patellaspitzensyndrom.html
Wer sich jetzt hier schon ein wenig vllt. wiedererkennt, und denkt er sollte man so richtig lesen, wohin Sucht nach Sport die Leute treibt, wenn sie nichtmal kürzer/schwächer treten können, sollte am besten mal in dem Thread hier Betroffenenberichte lesen.
http://www.med1.de/Forum/Orthopaedie/17108/1/

Also. kurz gesagt: wenn die Sehne unterhalb und oberhalb der Kniescheibe schmerzt, und das vllt. nach Beginn des Trainings sogar wieder aufhört, ist man schon gut auf dem Weg in die Chronifizierung, die gilt es unbedingt zu verhindern. Und ich möchte positiv berichten, dass mich die Berichte in dem Forum genug erschrocken haben, dass ich wirklich mal geschont habe, und ich kann jetzt wieder belasten und bin schmerzfrei. Und ich bin lange an der Schmerzgrenze und in den Schmerzen gefahren, weil ich einfach nicht kürzer treten konnte/wollte.
Also, die Hauptursache sind zu große Gänge, hat man das Problem erstmal sind aber schon die normalen Gänge zu groß um dem Gewebe genügend "Raum" für Regeneration zu geben (Sehnen sind _extrem_ träge Gewebe).
Also je nachdem wie lange man die Schmerzen schon hat: Macht euch klar, dass jedes bißchen Peak über eine sehr sanfte Kraft (denkt auch daran, schonend Treppen zu laufen) die Regeneration behindert, fahrt mind. 2-3Monate nur noch ohne Druck, meinetwegen die ganze Zeit mit 120er Kadenz, auch so kann man noch Geschwindigkeit machen. Wenn ihr danach merkt es kommt bei Belastung wieder: 1,5Monate weiter schonen, nicht erst paar Tage an der Schmerzschwelle rumprobieren! Die Schonung ist der Freund! Dann nochmal probieren. Wiegetritt ist natürlich total verboten in der Zeit, höchsten ganz geschickter ohne große Beinbeugung bei der Belastung, aber lieber bleibenlassen.

Zusätzlich kann man ruhig mal mit Diclofenacsalbe Salbenverbände machen oder nur einreiben. Es streiten sich aber die Gelehrten, ob auch entzündliche Prozesse am laufen sind. Schaden kann das Diclo aber eher nicht so sehr.
Hier wieder der "entzündliche" Streitfall: kühlen wenn es eine Entzündung ist, aber wenn es keine gibt, wie andere sagen, sollte man wärmen. Ich hab mit Kühlung keine schlechten Erfahrung gemacht, mein Ortho-Doc meinte auch Kühlung. Mein Doc bekam also gelehrt, dass was entzündliches abläuft.
Zusätzlich natürlich immer schön dehnen, das nimmt die Grundanspannung der Muskeln etwas zurück und schont so die Sehnen.
Ich hab dann auch nach Ausfahrten ohne Schmerzen etwas Diclofenac (von Ratiopharm viel billiger als Voltaren) geschmiert und 10min gekühlt.
Fürs Dehnen kann man hier die Übungen nehmen die die Beine betreffen: http://www.walktreff.de/dehnen.htm

Achso, um noch Propaganda für hohe Trittfrequenzen zu machen: Die Knorpel haben keine Blutversorgung, sie schwimmen praktisch in einer Flüssigkeit, der Gelenkschmiere, die sie mit Sauer-und Nährstoffen versorgt. Bei Belastung wird diese aus den Knorpeln herausgedrückt, und bei Entlastung fließt sie zurück, so kann es zu einem Stofftransport kommen, außerdem geht es um den Abtransport von Reibungswärme. Tritt man nun mit hoher Kraft, wird der Knorpel eh schon "trockener ausgewrungen", sprich die Schmierung wird weniger, tritt man zusätzlich noch langsam, wird die Nährstoffversorgung des Knorpels schlechter. Lieber weniger Kraft und mehr Kadenz für die gleiche Leistung.

Wenn man seine Trittfrequenz nicht gut abschätzen kann, kein Messgerät hat, oder um sich erst an Hohe zu gewöhnen, hab ich mir damals eine Tabelle gemacht, und hatte für jeden Gang 2 Werte: wie schnell ich fahren muss für 75u/min und wie schnell für 90u/min. Orientiert hab ich auf 90u/min, bei unter 75 wurde geschaltet. Jetzt tret ich wohl so ca. 85/min. Rechnungen kann man hier durchführen.
http://www.j-berkemeier.de/Ritzelrechner.html
Wobei es sicher ausreicht sich das für paar oft gefahrene Gänge zu merken.

Ok, ich denke das meiste hab ich geschrieben: Vorbeugen geht mit Training des sauberen Bewegungsablaufes (einbeinig fahren), mit hohen Trittfrequenzen fahren,. mit Training der gesamten Beinmuskulatur,z.B. in dem man noch einen anderen Sport macht. und ganz wichtig (!!!elfeinhundertelfzig1!) immer schön dehnen.

Gruß, Ingmar

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